Lebensborn-Kind besucht nach 75 Jahren seinen Geburtsort

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Gerhard Lindau hat jetzt erstmals seinen
Geburtsort besucht. Foto: Waalkes

Wegen eines Schreibfehlers ist noch heute in seinem Reisepass der Geburtsort „Höhnhorst“ vermerkt. Gerhard Lindau ist das 39. von 217 Lebensborn-Kindern, die auf Gut Hohehorst im Bremer Umland geboren wurden. Jetzt hat er den Ort seiner Geburt besucht.

„Durch diese Tür ist meine Mutter vor 60 Jahren gegangen“, sagt Gerhard Lindau und hält einen Augenblick inne. Er sitzt im Torhaus auf Gut Hohehorst und hält ein Bild in den Händen, das seine Mutter Martha und seine älteren Geschwister Johanna und Heinrich im Park des Herrenhauses zeigt. „Ich lag da wahrscheinlich gerade in meinem Kinderbettchen“, vermutet Lindau, der heute mit seiner zweiten Frau Sabine in der Lutherstadt Eisleben in Sachsen-Anhalt lebt.

Lindau wurde 1939 im Lebensborn-Heim der SS bei Bremen geboren

Es ist das erste Mal, dass der 76-Jährige den Ort seiner Geburt besucht. Lindau wurde am 3. Juli 1939 als 39. Kind von 217 in Löhnhorst geboren. Zu der Zeit wurde das Gut Hohehorst von dem nationalsozialistischen SS-Verein Lebensborn genutzt. Der offizielle Antrieb war die Geburtenrate der „arischen“ Kinder zu erhöhen. „Viele Mütter haben sich aber bei Lebenborn beworben, weil sie wussten, dass sie in diesen Heimen eine medizinisch betreute Geburt durchführen konnten“, weiß Hans-Werner Liebig, der das Hohehorst-Archiv betreibt. Er war es auch, der bei Recherchen auf die Dokumente von Lindaus Geburt gestoßen ist. „Drei Anrufe und ich hatte ihn gefunden“, erklärt Liebig.

Deutsch-deutsche Grenze trennte Familie ab 1949

Die Anrufe liegen jetzt knapp zwei Jahre zurück. „Ohne den Einsatz von Herrn Liebig, wüsste ich heute noch nicht, wo ich geboren wurde“, sagt Lindau. Denn in der Familie wurde nicht viel über diese Zeit gesprochen. Wie lange die Mutter mit Lindau und seinen zwei Geschwistern auf Gut Hohehorst gelebt hat, weiß er nicht. Ebenfalls ist unklar, ob der Vater Heinrich – ein SS-Wachmann – dabei war. „Mein Vater ist 1945 aufgrund seiner Nazi-Vergangenheit nach Duderstadt in West-Deutschland geflohen“, erinnert sich Lindau. Nachdem die Grenze 1949 geschlossen wurde, war die Familie getrennt. Der Vater im Westen und die Mutter – mit mittlerweile vier Kindern – in der DDR in der Eisleben. Bis zum Tode des Vaters in den 1960er Jahren, gab es zu ihm dann keinen Kontakt mehr.

Lindau recherchiert jetzt über seine Vergangenheit

Archivar Hans-Werner Liebig (l.) hat Lebensborn-Kind
Günther Lindau ausfindig gemacht. Foto: Waalkes

Nachdem seine Mutter 2008 gestorben ist, gibt es keinen mehr, den Lindau über die Zeit auf Gut Hohehorst hätte fragen können. „Als wir noch klein waren, wurde über die Zeit einfach nicht geredet. Wir haben nicht nachgefragt“, sagt Lindau. Erst als ihn der Anruf von Archivar Liebig erreicht, habe er angefangen, sich mit Fachliteratur und Zeitungsartikeln über Lebensborn zu informieren. „Ich bin glücklich, hier zu sein“, beteuert er immer wieder.

Auf dem Weg vom Torhaus zum Herrenhaus, in dem er 1939 geboren wurde, fotografiert Liebig viel, fragt interessiert nach. „Nach so vielen Jahren hier zu sein, das ist etwas ganz Besonderes“, sagt Lindau und schaut auf das Herrenhaus. Im Dachgeschoss hat er damals, wie auch 217 andere Lebensborn-Kinder, das Licht der Welt erblickt.

Im Reisepass steht noch heute „Höhnhorst“

Wegen eines Schreibfehlers steht übrigens noch heute in seinem Reisepass „Höhnhorst“ als Geburtsort. Wahrscheinlich wurde das altdeutsche L mit einem H verwechselt, vermutet er. Hatte Gerhard Lindau sein ganzes Leben lang nur dieses Dokument als Erinnerung an den Ort seiner Geburt, so fährt er nun mit vielen lebhaften Ergänzungen nach Hause – in Farbe.

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