„Anonyme Overeaters“: Wenn Essen krank macht

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Bei den Anonymen Overeaters können sich
Betroffene austauschen. Foto: WR

Fettige Kreationen wie Kakao mit Margarine oder totale Abstinenz – Ess­törungen sind so unterschiedlich wie die Betroffenen. Einige von ihnen treffen sich in Selbsthilfegruppen wie den „Anonymen Overeaters“ in Bremen und berichten, warum ihnen das gut tut.

Stadtmitte  Max (54), Luise (65) und Sandra (43) sind Menschen die auf den ersten Blick im Straßenbild nicht sonderlich auffallen. Gut, er hat eindeutig Übergewicht. Laut Statistik teilt das Schicksal jedoch jeder Vierte in Deutschland. Die ältere Dame hat vielleicht ein, zwei Kilo zuviel auf den Hüften, die jüngste des Trios wiederum ist extrem schlank. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: eine gravierende Essstörung.

Diese bekämpfen sie mithilfe der „Overeaters Anonymous“ (anonyme Esssüchtige), einer kostenlosen Selbsthilfegruppe von Menschen, die den Wunsch haben mit Essen gesünder umzugehen. Ihr Verhalten, das geben alle offen zu, ist oder war krankhaft.

Schweißausbrüche als Nebenwirkung vom Zuckerentzug

 

Für Max muss es im Ernstfall süß oder salzig immer aber fettig sein – egal was, egal woher. „Ich habe sogar schon Kakaopulver mit Magarine in mich hineingeschaufelt“, gibt er offen zu. Sandra kennt ebenfalls keine Grenzen. Rund 500 Euro gebe sie monatlich in Discountern für Nahrungsmittel aus. Aus Scham wechselt die Einkaufsstätten, um nicht aufzufallen. Denn ein „Vorrat“ sei schnell alle. Bis zu sieben Fressattacken habe sie in Krisenzeiten täglich, wobei sie im Anschluss alles an Nahrung wieder erbreche. „Ich kann das mittlerweile schnell und lautlos“, berichtet die Bulimikerin.

Zuckerentzug führt zu Schweißausbrüchen.
Foto: WR

Dennoch mache die Krankheit einsam, weil man sie nicht gänzlich vor anderen verbergen könne. Bei der unkontrollierten Völlerei ist sie zudem lieber alleine, um diesen Akt, der ihr vorübergehend eine gewisse Befriedigung verschaffe, geradezu zelebrieren zu können. Luise kennt beide Seiten der Medaille – sie war sowohl fettleibig mit kaputten Knien und Herzbeschwerden als auch magersüchtig mit Reizmagen – alles fing mit einer Sucht nach Zucker an. Einen regelrechten Entzug – mit Nebenwirkungen wie Schüttelfrost und Zittern – habe sie letztlich gemacht und nur mithilfe der Selbsthilfegruppe ihre „Mitte“ gefunden.

Das Zwanghafte klein kriegen

„Zunächst geht es darum, sich selbst anzunehmen und nicht ständig unter Druck zu setzen“, erläutert sie. Letztgenanntes kann vor allem Sandra besonders „gut“. „Früher dachte ich, es gäbe nur schwarz oder weiß, also entweder Bulimikerin oder gesund. Ich musste lernen, dass auch etwas dazwischen ist. Das ich auch so eine Lebensberechtigung habe.“ Motto: Du musst nicht aufhören, du darfst, oder umgekehrt. „Das heißt, ich muss nicht zum Kühlschrank gehen, aber ich darf. Ich kann das aber auch später noch tun und mir erst einmal einen Kaffee machen.“ Das Zwanghafte in sich selbst klein zu kriegen, ist der erste Sieg.

Das geht bei den OA in zwölf Schritten, einem Leitfaden, der neben weiterer Lektüre zum Programm der Treffen gehört. Beide Hilfsmittel nutzen die Teilnehmer auch zuhause. Und weitere: Luise und Sandra machen beispielsweise abends Listen. „Ich notiere was gut war und was weniger. Und freue mich über alles Positive“, berichtet die Seniorin. Sich vom eigenen Erfolg und dem der anderen motivieren zu lassen, ist ein weiteres Prinzip, auf das die OA bauen. Sie suchen sich unter „genesenen“ OAs „Sponsoren“, Menschen die sie nicht finanziell, sondern mit Tipps aus ihrem eigenen Erfahrungs-Schatz unterstützen.

Wertvolle Zeit unter Gleichgesinnten

 Das Thema „Geld“ spielt gemeinhin keine Rolle. „Wir bauen auf freiwillige Spenden, um Räume mieten und Info-Material ausgeben zu können“, erläutert Max. Das seien Beträge zwischen 20 Cent und 3 Euro pro Treffen. Bei diesen geht es, wie der Name sagt, auf Wunsch absolut anonym zu. „Außerdem kann man von sich berichten, ohne beurteilt zu werden. Reflektieren soll sich nur jeder selbst. Genausowenig gibt es bei uns Diät-Vorschläge oder andere Verhaltensmaßregeln“, betont Max. Die Teilnahme an den Treffen ist weder an Mitgliedsbeiträge noch an einen regelmäßigen Turnus gebunden. Luise besucht die Runden nach wie vor zwei bis drei Mal pro Woche, Sandra als alleinerziehende Mutter kann es nur sonntags einrichten. Doch diese 90 Minuten seien ihr heilig. „Wann nimmt man sich sonst die Zeit, sich einfach nur mit sich selbst zu beschäftigen?“  von Bettina Gößler

Informationen finden Interessierte unter www.overeatersanonymous.de

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