Kriminologe: Bremen muss Flüchtlingskriminalität durchstehen

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Der Platz vor dem Bahnhof ist Brennpunkt geworden. Foto: WR

Wenn entwurzelte Jugendliche mangelhaft betreut werden, hat das gravierende Folgen, sagt der renommierte Kriminologe Professor Christian Pfeiffer. Der Weser Report hat mit ihm über die Situation am Bremer Hauptbahnhof gesprochen. Straßenkinder seien die schwierigste Gruppe, da sie gelernt haben, durch Straftaten zu überleben.

 

Weser Report: Wie beurteilen Sie die Lage am Bremer Hauptbahnhof?

Die Situation ist auch wegen der Personalnot der Bremer Polizei schwierig. Dass die Straßenkriminalität mit der Flüchtlingswelle zunimmt, ist nichts neues, das war auch in der Flüchtlingskrise in den 90er Jahren schon so. Damals haben vor allem die Kaufhäuser unter Diebstahlserien gelitten. Die großen Gewalttaten, wie Tötungsdelikte, Vergewaltigungen oder schwere Körperverletzungen, sind damals sogar weniger angestiegen, als es nach dem Zuwachs der Bevölkerung zu erwarten war. Ich schätze die Situation so ein, dass sich dieses Muster jetzt wiederholt.

Gilt das für alle Flüchtlinge?

Kriminologe Professor
Christian Pfeiffer. Foto: Kfn

Was wir zwei Jahre nach der Flüchtlingswelle mit Hilfe unsere Forschung festgestellt haben: Die meisten erwachsenen Asylbewerber leben sehr angepasst und fallen strafrechtlich nicht auf. Sie wollen ja auch ihre Asylverfahren nicht gefährden. Bei manchen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ist und war die Situation anders. Die Vernunftargumente fruchten bei ihnen weniger.

Aber warum rutschen sie in die Kriminalität?

Das sind junge Menschen, deren seelische Not beträchtlich ist. Manche haben posttraumatische Belastungsstörungen. Alle haben ganz plötzlich ihre Familien verloren, mussten alles hinter sich lassen. Manche fallen dadurch in die Depression, andere in die Aggression. Sie aufzufangen, wird nicht einfach sein. Da braucht es vor allem individuelle Betreuer.

In Bremen leben laut Sozialressort knapp 2000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Ist die Kriminalität da vorprogrammiert?

Diese hohe Zahl überrascht mich. Das bringt Schwierigkeiten in der Unterbringung und Betreuung mit sich. Bei 2000 jungen Flüchtlingen passiert natürlich auch etwas. Bei Straßenkriminalität geht es meist ums Geld. Aber wenn 2000 unbegleitete junge Flüchtlinge auch noch in Zelten leben müssen, ist die Bekämpfung der Kriminalität schon sehr erschwert. Für die Polizei genauso wie für die Betreuer. Erst eine Wohnung schafft Geborgenheit und die Chance, sich schrittweise zu integrieren. Aber zunächst einmal muss das Problem gelöst werden, wie man individuelle Betreuung organisiert.

Auch dafür fehlt es in Bremen derzeit an Personal…

Ja, deshalb sehe ich die Lösung in ehrenamtlichen Betreuern. Das Jugendamt müsste hierfür eine Struktur schaffen. Die beruflichen Betreuer sollten sich darauf konzentrieren, jeweils eine Gruppe von Ehrenamtlichen zu beraten und zu begleiten. Vielleicht sollte es hierfür kurze Einführungskurse geben, damit die Freiwilligen lernen, wie sie ihre Aufgabe optimal wahrnehmen können. Und die Medien müssten das entsprechend bewerben. Wenn man so etwas gut organisiert, bin ich überzeugt davon, dass es gerade in Bremen eine große Zahl von engagierten Menschen gibt, die da mitmachen würden.

Das Sozialressort hat erklärt, dass es sich bei den Straftätern rund um den Hauptbahnhof um eine Gruppe von Straßenkindern aus Algerien und Marokko handelt. Bringen die ein anderes kriminelles Potenzial mit?

Solche Jugendliche, die schon in ihren Heimatländern als Straßenkinder gelebt haben, werfen wirklich große Probleme auf. Wenn sie sich gemeinsam auf den Weg nach Europa machen, dann bilden sie eine feste Gruppe, die Zugehörigkeitsgefühl vermittelt. Zudem haben sie es gelernt, durch Straftaten zu überleben. Also besteht nun die Aufgabe darin, Ihnen erstens durch Polizei und Betreuer zu zeigen, dass letzteres bei uns nicht nötig ist und in die Sackgasse führt. Und zweitens muss es darum gehen, jedem einzelnen trotz aller Probleme die Chance des Ausstiegs aus dieser Existenzform zu bieten.

Kann die Polizei nichts tun? 

Gegenüber richtigen Banden ist es hilfreich ist, denjenigen mit führender Funktion aus der Gruppe rauszunehmen und mit schnellen Verfahren abzuschrecken. Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen der Polizei auch gegeben sein, das ist in Bremen sehr begrenzt. Hinzu kommt: Minderjährige Flüchtlinge können auch trotz mehrfacher Straftaten nur in Ausnahmefällen abgeschoben werden. Sollten Sie dann hartnäckig im kriminellen Milieu aktiv bleiben, gibt es manchmal nur die Option zu warten, bis sie volljährig sind. Das ist dann schon eine Situation nach dem Motto: „Wir müssen das durchstehen.“

Neben den Diebstählen gibt es auch eine Drogenproblematik. Was kann man dagegen machen?

Um Drogenhandel zu betreiben, brauchen die jungen Flüchtlinge eine Quelle aus der sie die Ware beziehen. Sollte es in Bremen aus den Heimatländern der minderjährigen Flüchtlinge Drogendealer geben, könnten sich schnell kriminelle Strukturen entwickeln, bei denen den Jugendlichen die riskante Aufgabe zugewiesen wird, die Ware an den Mann zu bringen Hier ist die Polizei gefordert. Sie muss mit aller Macht versuchen dieser Ausweitung des Drogenhandels zu verhindern. Das wird wiederum dann erschwert, wenn es sich hier um unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge handelt, die in Zelten leben und kein richtiges Zuhause erhalten.

Professor Christian Pfeiffer, ist ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Er forscht über Straftaten, ihre Ursachen und die Rolle der Polizei. Zurzeit arbeitet Pfeiffer als Gastprofessor am John Jay College of Criminal Justice in New York. 

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