Christian Leuprecht ist noch bis Mai Fellow am Hanse-Wissenschaftskolleg und befasst sich hier mit sicherheitspolitischen Problemen.Foto: Eckert Christian Leuprecht ist noch bis Mai Fellow am Hanse-Wissenschaftskolleg und befasst sich hier mit sicherheitspolitischen Problemen.Foto: Eckert
Interview

Deutschland ist nicht vor dem Terror geschützt

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Krieg und Terror sind momentan in aller Munde. Der deutsch-kanadische Politologe Prof. Dr. Christian Leuprecht hat sich im Bereich der Sicherheitspolitik spezialisiert. Bis Ende Mai ist er Fellow am HWK Delmenhorst.

Auf die Frage, warum Belgien und Frankreich Ziele für terroristische Anschläge wurden, anders als Deutschland, sagt Prof. Dr. Christian Leuprecht: „Dazu muss man wissen, dass in Belgien pro Kopf zehn Mal so viele Bürger sich dem IS angeschlossen haben. Es gibt Viertel in die sich kaum die Polizei wagt.“ Bestimmte Länder – und hierzu gehöre auch Deutschland – seien in der Vergangenheit besser mit Einwanderung umgegangen.

„Aber auch in Deutschland besteht die Gefahr, eines Anschlags. Mich überrascht hier der manchmal arrogante und rüde Umgang mit Menschen, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen“, so Leuprecht. „Ich mache mir Sorgen um Deutschland. Hier herrsche zwar eine Vielfalt in der Bevölkerung und auch der sozialdemokratische Staat schützt vor Extremismus. Allerdings ist das Schulsystem nicht auf Chancengleichheit ausgelegt. Es muss dafür gesorgt werden, dass jeder der hier lebt fehlerfrei deutsch spricht und integriert ist. In der Flüchtlingsfrage muss Deutschunterricht Teil des pädagogischen Systems werden, um eine echte Chancengleichheit herzustellen“, sagt Leuprecht.

Dazu müsse man wissen, dass die Menschen, die Anschläge wie die in Belgien oder Frankreich verüben, gewalttätig werden, weil sie mit Gewalt ihre Unzufriedenheit und ihre Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates demonstrieren wollen. „Die Religion ist nur vorgeschoben. Außerdem darf man nicht vergessen, dass in vielen Staaten gerade im nahen Osten Religion und Staat und damit auch die Politik viel stärker verwoben sind“, so Leuprecht. Wir trafen den Politologen zum Interview im HWK in Delmenhorst.

Delme Report: Warum radikalisieren sich Menschen?

Christian Leuprecht: Die Verantwortlichen für Anschläge wie jetzt in Belgien und vor kurzem in Frankreich wollen mit Gewalt ihre Unzufriedenheit an der Demokratie zeigen und ihre Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates demonstrieren. Die Religion ist nur vorgeschoben. Außerdem darf man nicht vergessen, dass in vielen Staaten gerade im nahen Osten Religion und Staat und damit auch die Politik viel stärker verwoben sind. Doch selbst von den Menschen, die den ideologischen Extremismus unterstützten, wird nur ein ganz kleiner Teil selber gewalttätig.

Warum sind so viele der Attentäter Personen, die aus einem westlichen Land stammen?

Ein Teil der Bevölkerung sieht sich als Verlierer, vor allem die Jugend sieht häufig keine Perspektive für sich. Menschen, die nichts zu verlieren haben, sind gefährlich. Zudem ist die Welt klein geworden, da sich auch große Distanzen leichter und schneller überwinden lassen. Außerdem hat sich die Kommunikation verändert. Jeder kann heute seine Meinung ins Netz stellen. Doch gerade diese globale Welt mit ihrer riesigen Datenschwemme, überwältigt bestimmte Bevölkerungsgruppen und sie konsumieren dann nur noch Nachrichten, die ihre Haltung bestätigen. Das ist hier in bestimmten politischen Gruppierungen zu erleben, genau wie im mittleren Osten. Diese Personengruppen fühlen sich als Verlierer der Globalisierung.

Sind die westlichen Staaten auf mögliche Terroranschläge vorbereitet?

Nein, Ermittlungstaktiken wie bei anderen Taten, greifen nicht bei den möglichen Gefährdern. Selbst die Erfahrung mit der RAF in den 1970er Jahren helfen in der aktuellen Situation nicht wirklich. Die Arbeit der Polizei und der Geheimdienste wird zusätzlich erschwert, weil es zu wenig Austausch zwischen den Behörden gibt. Das trifft bereits auf die 16 Bundesländer zu und setzt sich europaweit fort.

Warum gibt es so wenig Austausch?

Eine Sache ist der Datenschutz. Auch um ihre Quellen zu schützen, mauern die Ermittler. In Deutschland herrscht in der Bevölkerung zudem eine große Skepsis gegenüber der Polizei und der Geheimdienste. Daran sind auch die Ermittlungspannen im Zusammenhang mit dem NSU Schuld. Außerdem zucken viele Bürger zusammen, wenn mehr Sicherheit gefordert wird. Für sie ist das gleichbedeutent mit weniger Freiheit. Das ist sehr kurz gedacht, denn ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit.

 

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