Gedenkfeier für Hans Koschnick im Dom. Foto: Meister Dompastorin Ingrid Witte beim Auftakt. Foto: Meister
St. Petri Dom

Bremen, Deutschland und die Welt würdigen Koschnick

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Zum Staatsakt und Gottesdient im Dom kommen über 1000 Gäste. Carsten Sieling, Gerhard Schröder, Rita Süßmuth, Janusz Reiter und Danzigs Stadtpräsident sprechen über den großen Hans Koschnick - und was unvergessen bleibt.

Um Punkt 11 Uhr beginnen der Staatsakt und die Trauerfeier für den verstorbenen Alt-Bürgermeister Hans Koschnick. Ingrid Witte, die Dompastorin, eröffnet den Gottestdienst. „So viele Menschen sind gekommen, das zeigt, wie wichtig uns Hans Koschnick ist“, sagt Witte. Mit rund 1000 Besuchern ist der Dom bis auf den letzten Platz besetzt.

Auf der Bank direkt vor dem Altar hat Bundespräsident Joachim Gauck neben Koschnicks Frau Christine Platz genommen. Daneben ist der komplette Bremer Senat erschienen. Bürgerschaftspräsident Christian Weber sitzt in einer Reihe mit Bürgermeister Carsten Sieling, neben Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder und Alt-Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth.

Gäste aus ganz Europa, unter anderem den Städten Danzig und Mostar, sind im Dom anwesend. Verhindert unter den zahlreichen Ehrengästen ist wegen Krankheit lediglich SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Renke Brahms hält Predigt für den „großen Bremer“

Joachim Gauck und Gerhard Schröder beim Trauergottesdienst. Foto: Meister

Joachim Gauck und Gerhard Schröder beim Trauergottesdienst. Foto: Meister

Von 1967 bis 1995 war Koschnick Präsident des Senats und Bremer Bürgermeister. Anschließend wirkte er 1987 bis 1994 als Bundestagsabgeordneter und ist durch viele friedensstiftende Missionen, etwa in Mostar, europaweit bekannt geworden. Koschnick war am 21. April 2016 in den Morgenstunden in Bremen gestorben.

Der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, Renke Brahms, steigt um kurz nach elf Uhr zur Predigt in die Kanzel. Er sagt: „Ein großer Bremer, ein aufrechter Hanseat, ein Brückenbauer, ein Friedensstifter – so ist Hans Koschnick schon über viele Jahre, besonders aber in den letzten Tagen gewürdigt worden.“ Doch Koschnick selbst hätte abgewunken und bescheiden geantwortet: „Nun übertreibt mal nicht.“

Ein Portrait Koschnicks steht neben dem Altar

Zehn große Trauerkränze liegen vor dem Altar, ein Portrait von Hans Koschnick steht daneben. Der Dom ist in festlicher Trauer geschmückt. Rote und orangene Scheinwerfer beleuchten die Mauern, die Orgel ist blau angestrahlt.

Gedenkfeier für Hans Koschnick im Dom. Foto: Meister

Ein Portrait Koschnicks steht im Dom. Foto: Meister

Brahms erinnerte daran, dass Koschnick sogar selbst gepredigt habe, so einmal am Tag der Arbeit in seiner Kirche „Zu unserer lieben Frauen“. „Seine Art zu dienen war vor allem das Gespräch, über alle Grenzen hinweg.“ „Sie haben Ihre Ehe ökumenisch gelebt“, streicht Brahms an Christine Koschnick gewandt heraus, „auch zu Zeiten, als das noch nicht selbstverständlich war.“ Koschnick war evangelisch, seine Frau ist katholisch.

„Unsere Gedanken und Gebete gehen zu Hans Koschnick“, sagt Brahms, nachdem sich die Gemeinde erhoben hat. Ingrid Witte spricht das Vaterunser. Mit dem Segen und dem Lied „Lobet den Herrn“ beschließt Witte nach einer halben Stunde den Gottesdienst.

Carsten Sieling eröffnet den Staatsakt

Den direkt anschließenden Staatsakt eröffnet Carsten Sieling. „Wir verabschieden uns von einem Bürgermeister, der mit Herz und Verstand unseren beiden Städten Bremen und Bremerhaven gedient hat“, sagt der Sieling, und blickt auf Koschnicks Lebensgeschichte zurück.

Carsten Sieling erinnert an Koschnicks Leben. Foto: Meister

Carsten Sieling erinnert an Koschnicks Leben. Foto: Meister

In einer kleinen Dachwohnung in die Liebnitzstraße unweit der Häfen wohnten die Eltern, als Koschnick am 2. April 1929 zur Welt kommt – mitten in der Weltwirtschaftskrise. Schon am 1. Mai 1933 wurde sein Vater verhaftet, wenig später wird auch die Mutter verhaftet – beide hatten sich in der Arbeiterbewegung engagiert. Koschnick, der bei der Großmutter lebt, sieht seinen Vater fünf Jahre nicht wieder.

„Hans spürt, dass er am Rande steht und ausgegrenzt wird“, sagt Sieling – die Eltern fanden kaum Arbeit wegen ihrer politischen Haltung. Aus nächster Nähe erlebt er die Verfolgung der Juden in Gröpelingen. „Später ist er empört, dass so viele sagen, sie hätten nichts gewusst“, erinnert Sieling. 1944 fällt sein Vater im Krieg.

Er baute „den Trümmerhaufen“ wieder auf

„Wenn Ihr später den Trümmerhaufen wieder aufbauen müsst, dann sucht das Verbindende, nicht das Trennende“, habe er seinen Sohn zuvor noch auf den Weg gegeben. Sieling würdigt Koschnicks Engagement für Frieden und Aussöhnung und schlägt die Brücke zu den „Grundfesten des modernen Bremens“, um die sich Koschnick verdient machte, etwa durch die Gründung der Bremer Universität oder das große Wohnungsbauprogramm.

Aber natürlich auch die Ansiedlung des Mercedes Werk 1978 streicht Sieling heraus. Der Containerumschlag in Bremerhaven oder die Ansiedlung des Alfred-Wegener-Institutes, die Luft- und Raumfahrtindustrie dürfen nicht unerwähnt bleiben.

Koschnick sagte: „Ich mag Menschen“

Später folgte der Strukturwandel. „Hans Koschnick spürt, dass die Zeiten sich ändern. Weften und Stahl sind bald einem gnadenlosen Konkurrenzkampf ausgesetzt“, sagt Sieling. „Viele erinnern sich noch gut an den Tag im Herbst 1983, als Hans Koschnick bei der letzten Betriebsversammlung der AG Weser vor den Arbeitern steht und ihnen keine Hoffnung mehr machen kann.“

Sieling berichtet, dass er schon lange das Buch „von der Macht der Moral“ zu Hause habe. Darin wird Koschnick zitiert: „Ich mag Menschen. Es ist schwer für mich, wenn ich sehe, dass Menschen unnötig leiden.“ Man müsse helfen, dies sei eine Leitlinie seines Lebens. „Es ist auch Dein Verdienst, liebe Christine, dass Hans den Menschen immer zugewandt war“, sagt Sieling an Christine Koschnick gewandt. Mit den Worten „Danke Hans“ beschließt der Bürgermeister seine Rede.

Gerhard Schröder erinnert an den populären Politiker

Gerhard Schröder bei seiner Rede. Foto: Meister

Gerhard Schröder bei seiner Rede. Foto: Meister

Als ein im besten Sinne „bodenständiger, ein nahbarer Mensch, der Gespräche unverstellt auf Augenhöhe führte“, würdigt nun nach einer kurzen Musik Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder Hans Koschnick. Nichts an Koschnick habe gekünstelt gewirkt. „Er sah die traumatisierten Menschen in Bosnien als Opfer einen grausamen Krieges, selbst dann noch, als diese ihm nach dem eigenen Leben trachteten.“

Koschnick sei so zu einer Instanz geworden, die Orientierung gab, und ihn zu einem der populärsten SPD-Politiker der Nachkriegszeit gemacht habe. „66 Jahre war er Mitglied unserer Partei“, erinnert Schröder.

Er blieb lieber „in seinem geliebten Bremen“

„An Angeboten zum Wechsel in die Bundespolitik hat es wahrlich nicht gefehlt“, so Schröder, „doch Hans fühlte sich nicht abkömmlich“ und blieb lieber „in seinem geliebten Bremen“. Ein leidenschaftlicher Lokalpatriot, immer Europäer und Weltbürger sei Koschnick gewesen. „Hans war einer, den die Partei liebt“, habe Willy Brandt zu Koschnicks Abschied als Bürgermeister 1985 geschrieben.

Schröder: „Unsere Trauer kann ihre Trauer, liebe Familie Koschnick, kaum lindern. Doch wir bleiben hier nicht mit leeren Händen zurück, Hans hat uns allen viel gegeben, und das bleibt.“

Mit dem Lied „Verleih uns Frieden gnädiglich“ von Felix Mendelsohn Bartholdy wird dieser Teil beschlossen. In den Mienen der Trauergesellschaft auf den voll besetzten Bänken spiegelt sich Ernsthaftigkeit, Trauer und Nachdenklichkeit – auch manche Träne fließt.

Süßmuth: „Für mich in erster Linie Dank“

Jetzt ist es an Alt-Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth, aufs Podium zu treten. „Hans Koschnick war ein großartiger Mensch mit einer großartigen Frau, die beide an einem Strang zogen“, setzt Süßmuth an. „Wenn wir heute beieinander sind – ja es ist Abschied, aber er ist für mich in erster Linie Dank.“

Süßmuth trägt ihre Rede emotional, mit vielen Gesten und in Teilen frei vor. So erinnert sie etwa an Koschnicks erste Reise nach Danzig im Jahr 1964 und seine Fähigkeit, beide Seiten zu hören – in Polen, in Israel, in Bosnien. Das Vermächtnis, aus dem er gelebt habe, müsse man heute weiterführen. „Und auch das sage ich in diesem Gotteshaus: Hans Koschnick hat nie von Gott gelassen.“

Janusz Reiter über das deutsch-polnische Verhältnis

Der Diplomat Janusz Reiter, Vorsitzender des Zentrums für internationale Beziehungen in Warschau und ehemaliger Botschafter Polens, übernimmt die vierte Rede des Staatsaktes. „Mein Botschafter“, sei der Gruß Koschnick gewesen, wenn er ihn traf. „Er lächelte oft und gerne, das war das verschmitzte Lächeln, das wir so lieben.“

Das Verbindende zwischen Polen und Deutschland möglich zu machen, sei eine Lebensaufgabe Koschnicks gewesen. Er habe die neue Nachbarschaft zwischen Deutschen und Polen entschieden mitgestaltet. Der Erfolg in Polen habe Koschnick wohl ermutigt, sein Friedensengagement auf dem Balkan aufzunehmen und der Notwendigkeiten, diesen an Europa heranzuführen.

Der Bürgermeister Danzigs würdigt den Ehrenbürger

Paweł Bogdan Adamowicz, Bürgermeister von Bremens Partnerschaft Danzig, spricht nun – auf polnisch, aber die Besucher können die Rede schriftlich mitverfolgen, in der Adamowicz über einen „großen Freund“ spricht. Auch im dortigen Rathaus lag ein Kondolenzbuch aus, Koschnick war Ehrenbürger Danzigs.

Das Kondolenzbuch im Bremer Rathaus. Foto: Meister

Das Kondolenzbuch im Bremer Rathaus. Foto: Meister

Die beiden Bremer Kondolenzbücher – in der Bürgerschaft und im Rathaus – werden am Mittwochnachmittag geschlossen. Tausende haben sich dort eingetragen, wie das Rathaus berichtet. Die Bücher werden anschließend in Leder gebunden und der Familie übergeben.

Die Bremer Philharmoniker stimmen nun die Europahymne an, mit der der offizielle Staatsakt nun beendet wird. Eine sichtlich bewegte Trauergemeinde erhebt sich nach Gottesdienst und Staatsakt und schreitet langsam durchs Portal auf den Marktplatz – viele von ihnen gehen weiter ins Bremer Rathaus, das wieder auf Halbmast geflaggt ist, und in dem am Mittag der Empfang zur Würdigung Hans Koschnicks läuft. Die Beisetzung des großen Bremer Bürgermeisters wird dann im kleinen Familienkreise stattfinden.

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