Annemarie Czichon leitet das Ortsamt Neustadt/Woltmershausen. Foto: Barth Annemarie Czichon leitet das Ortsamt Neustadt/Woltmershausen. Foto: Barth
Interview

Neustadt soll „nicht nur noch gut Betuchte“ locken

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Die Neustadt ist als Wohnort beliebt. Ortsamtsleiterin Annemarie Czichon warnt im Interview davor, dass nur noch gut Betuchte in den Stadtteil ziehen und ärgert sich, dass die Wohnbebauung an einigen Stellen stockt.

Weser Report: Monatelang hat das Thema Flüchtlinge die Neustadt und Woltmershausen beschäftigt. In den vergangenen Monaten scheint das Thema aber in den Hintergrund getreten zu sein. Täuscht das?

Annemarie Czichon: Wir haben in ganz Bremen nicht mehr so hohe Zugangszahlen, das stimmt. Die Herausforderungen sind aber weiterhin da: Wir brauchen auch für diese Menschen Wohnraum und Arbeit, und die Kinder brauchen Kita- und Schulplätze.

Und wir dürfen nicht vergessen, dass viele von ihnen Furchtbares hinter sich haben – wenn wir uns daran erinnern, wie lange wir mit den Folgen des letzten Krieges hier bei uns zu tun hatten und zum Teil immer noch haben, dann ahnen wir, dass wir als Gesellschaft noch eine Menge Aufgaben vor uns haben. Einfache, populistische „Rezepte“ helfen da überhaupt nicht.

Und ganz konkret werden weiterhin Ehrenamtliche gesucht, zum Beispiel für Sprachpatenschaften, Hausaufgabenhilfe oder einfach Führungen durch den Stadtteil, vor allem für die Menschen, die nicht mehr in den Heimen, sondern schon in normale Wohnungen leben – da sind gute Nachbarschaften eine Menge wert.

Mit Kuchinke in der Neustadt und dem Lankenauer Höft in Woltmershausen haben die beiden Stadtteile gerade jeweils ein Traditionsunternehmen verloren. Was bedeutet das für die Stadtteile?

Beide Schließungen bedauere ich natürlich sehr. Solche Institutionen wie Kuchinke gibt es leider wirklich immer weniger. Gleichzeitig gibt es aber in der Neustadt viele kleine, auch handwerklich orientierte Neueröffnungen, durch die wir uns zum Beispiel über leckeren Ingwerlikör, besten Kaffee, guten selbstgebackenen Kuchen, kreative Nähideen und hochwertige und trotzdem erschwingliche Beköstigung im neuen Huckelrieder Quartierszentrum freuen können. Es gibt also nicht nur Verluste.

Auch für das Lankenauer Höft sehe ich gute Perspektiven, trotz der Schließung durch den jetzigen Pächter: Dieser wunderbare Ort braucht einfach eine attraktive und zugleich bodenständige Gastronomie, und ich denke, die wird es da in absehbarer Zeit auch wieder geben.

Dabei muss bei aller Aufwertung, die da geplant ist, die Qualität als Naherholungsgebiet im Vordergrund stehen. Für die kommende Saison ist es wichtig, dass wenigstens übergangsweise eine Einkehrmöglichkeit allein schon für die Fährgäste geschaffen wird.

Die Stadt hat sich um Fördergelder beworben, die in ein Fahrradmodellquartier in der Neustadt fließen sollen. Wie wichtig ist die Verbesserung Ihrer Meinung nach?

Der Antrag zum „Fahrradmodellquartier Alte Neustadt“ bezieht sich ja erst mal auf den Bereich zwischen der Langemarck-, der Lahn- und der Friedrich-Ebert-Straße und der Kleinen Weser. Hier sollen modellhaft Verbesserungen, für die Bremen sonst kein Geld hätte, nicht nur für die Fahrradfahrenden, sondern auch für Fußgänger erreicht werden.

Wenn Sie allein an die fehlende Überquerungsmöglichkeit der Westerstraße in Höhe der Senioreneinrichtung/Einkaufsmärkte denken, da erklärt sich der Bedarf eigentlich von selbst. Und für die Lahnstraße wünschen sich Beirat und viele Anwohnerinnen und Anwohner ja schon seit langem Verbesserungen.

Nicht zuletzt geht es auch darum, da wo es möglich ist, gute und akzeptable Alternativen für Pkw zu finden – sonst ersticken wir bald in Autos.

Wenn Sie die Wahl hätten – wofür würden Sie Fördergelder gerade am liebsten in der Neustadt oder Woltmershausen ausgeben?

Ich würde möglichst viel in Bildung investieren. Damit meine ich nicht nur das schulische Lernen im engeren Sinne, sondern auch das Umfeld, also von ausreichend Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten bis zur guten Schulsozialarbeit und eine enge Vernetzung mit anderen Angeboten im Stadtteil.

Das kostet zwar – hier zu sparen, ist letztlich aber nach meiner festen Überzeugung auf Sicht viel, viel teurer.

Eine Bürgerinitiative aus der Neustadt kämpft um den Erhalt der Platanen entlang der Stadtstrecke. Die Verwaltung ist überzeugt, die Deicherneuerung funktioniere nur mit einer Fällung. Fühlen Sie sich als Ortsamtsleiterin zwischen den Stühlen?

Meine Aufgabe als Ortsamtsleiterin sehe ich in erster Linie darin, dafür zu sorgen, dass offene Fragen ordentlich beantwortet werden – und zurzeit habe ich noch den Eindruck, dass viele sich schon ein Urteil bilden, ohne hinreichend informiert zu sein.

Deshalb soll es voraussichtlich Anfang Februar dazu noch eine extra Veranstaltung geben, auf der hoffentlich ein sachlicher Austausch möglich ist.

Nach wie vor sieht der Beirat die Pläne für die Gartenstadt Werdersee in der vorliegenden Form kritisch. Welchen Einfluss hat das Gremium am Ende aber überhaupt auf die Beschlüsse der Bürgerschaft?

Es ist natürlich eine große Herausforderung, einerseits ausreichend Wohnraum zu schaffen und andererseits alle Ansprüche an das Wohnumfeld zu berücksichtigen, wie zum Beispiel. Maß und Dichte der Bebauung, Freiflächen, Lärmbelastung – das begegnet uns ja nicht nur in der „Gartenstadt Werdersee“, sondern eigentlich überall, wo Wohnungsbau geplant wird.

Für die „Gartenstadt Werdersee“ bemüht sich die Stadtplanung gemeinsam mit den Bauherren sehr darum, die vielen unterschiedlichen Interessen soweit wie möglich unter einen Hut zu bringen – aus Sicht der Beiräte Neustadt und Obervieland gibt es trotzdem noch deutlichen Verbesserungsbedarf.

Letztlich wird die Bürgerschaft über den Bebauungsplan entscheiden, die Beiräte haben da zwar eine wichtige, formal aber eine beratende Rolle.

Welche Wünsche haben Sie für „Ihre“ Ortsteile für 2017?

Für Woltmershausen wünsche ich mir zum Beispiel, dass es möglichst schnell eine Lösung für den Ersatzbau der Kita Charlotte Niehaus gibt, der Ganztagsausbau an den Grundschulen weiter geht, das Thema Fähre, einschließlich Weser-Radweg, weiter verfolgt wird und das SWB-/Brinkmann-Gelände möglichst bald auch für Wohnungsbau genutzt werden kann.

Die Neustadt ist inzwischen so beliebt, dass wir aufpassen müssen, dass hier nicht nur noch gut Betuchte hinziehen können. Umso ärgerlicher finde ich es, dass dringend benötigte Flächen, wie zum Beispiel das Güldenhaus-Quartier, wo auch Wohnbebauung möglich ist, und das Gelände um den Neustadtsgüterbahnhof, das gut für Gewerbe geeignet wäre, von den Eigentümern so lange liegen gelassen werden können. Es wäre schön, wenn sich da 2017 was tun würde.

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