Politikwissenschaftler Prof. Dr. Andreas Klee erläutert im Interview unter anderem wie sich das Wählerverhalten verändert hat. Foto: Pixabay Politikwissenschaftler Prof. Dr. Andreas Klee erläutert im Interview unter anderem wie sich das Wählerverhalten verändert hat. Foto: Pixabay
Interview

„Wir brauchen mehr Kontroversen zum Diskutieren“

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Seit den 1970er Jahren ist die Beteiligung an den Bundestagswahlen stark gesunken: von mehr als 90 auf zuletzt 71,5 Prozent. Doch der Trend lässt sich stoppen. Politikwissenschaftler Andreas Klee äußert sich im Interview

Weser Report: Bei der Bundestagswahl 2013 lag die Wahlbeteiligung bundesweit bei 71,5 Prozent, im Land Bremen sogar nur bei 68,8 Prozent. Was erwarten Sie am übernächsten Sonntag?

Andreas Klee: Ich denke, dass mehr Leute zur Wahl gehen werden und das aus zwei Gründen: Zum einen ist die AfD als eine neue Partei dazu gekommen ist und wird Leute mobilisieren. Und zum zweiten wegen der Gegenbewegung. Weil es Leute gibt, die sagen: Das müssen wir verhindern. Ich glaube, dass die AfD ein zweifacher Faktor ist. 

Wer geht in Bremen eher wählen, wer eher nicht?

Es ist schwer, das pauschal zu sagen. Aber es ist so, dass die Wahrscheinlichkeit, wählen zu gehen, höher wird, je besser ich ökonomisch gestellt bin und je höher der Bildungsabschluss ist. Das ist einfach ein Phänomen, das sich bei der Wahlbeteiligung durchzieht. Das lässt sich auch auf Stadtteile übertragen: In Horn, Schwachausen, Borgfeld und Oberneuland ist die Wahlbeteiligung höher als zum Beispiel in Gröpelingen, Walle oder Tenever. Das lässt sich nicht wegdiskutieren.

Wie können die Parteien die Nichtwähler erreichen?

Die Parteien sind stets bemüht und haben das Problem erkannt. Meine Erfahrung ist, dass unglaubliche viele Menschen eine große Distanz zum Politikbetrieb haben und denken, dass sie nicht mehr Teil davon sind. Die Notwendigkeit, sich zu beteiligen in der Hoffnung, dass sich etwas ändert, das ist bei vielen nicht mehr da, und deswegen gehen sie nicht zur Wahl. Die große Aufgabe ist, parteiübergreifend wieder Glaubwürdigkeit herzustellen.

In Dänemark und Schweden geben 80 bis 90 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Was kann Deutschland von diesen Ländern lernen?

In den Ländern gibt es zum Beispiel ganz andere Möglichkeiten, im Rahmen der politischen Bildung in Schulen Themen anzusprechen. Die Länder haben es geschafft, ein gesamtgesellschaftliches Interesse an Politik herzustellen. Gerade in den skandinavischen Ländern ist es so, dass die Gesellschaft dort experimentierfreudiger ist. Es werden zum Beispiel schneller Dinge ausprobiert.

Also ist es wichtig, dass nicht allein die Parteien versuchen, Wähler mobilisieren, sondern dass es alle Gruppen der Gesellschaft tun?

Das ist genau der Punkt. Wir können uns nicht allein die Parteien heraussuchen und sagen: Macht das mal spannender. Es müssen alle mitarbeiten.

Was können wir konkret tun?

Wir müssen zum Beispiel in Bezug auf die mediale Darstellung von Politik etwas tun. Wir brauchen auch wieder mehr Verständnis dafür, dass Politik auch etwas mit Herz und Leidenschaft zu tun hat. Also dass man sich für bestimmte Positionen einsetzt, auch wenn es vielleicht erstmal utopisch scheint. Wir haben ein sehr pragmatisches Politikverständnis. Es ist sehr von Fakten geprägt. Wir brauchen mehr Kontroversen, die diskutiert werden können.

Wir hat sich das Wählerverhalten in Deutschland in den vergangenen Jahren verändert?

Die Parteienbindung ist nicht mehr so relevant. Es gibt immer weniger Menschen, die ihr ganzes Leben lang eine Partei wählen. Auch die Debatte um die Unentschlossenen gab es früher nicht so stark. Und jetzt haben wir eine große Gruppe in der Gesellschaft, die nicht wählen geht oder auch beim Gang zum Wahllokal noch nicht weiß, was sie wählen. Damit tun sich dann auch die Prognosen schwer. Das macht den Wahlabend auch interessant.

Am 24. September stimmen die Bremer auch in einem Volksentscheid über die Verlängerung der Legislaturperiode der Bürgerschaft ab. Was halten Sie von dieser Form der Bürgerbeteiligung?

Grundsätzlich finde ich es in Ordnung, über Volksentscheide nachzudenken. In dem konkreten Fall, halte ich es aber für ein etwas feiges Instrument. Die Art und Weise, wie Parteien damit umgehen, ist nicht richtig. Es wird nicht darauf hingewiesen und macht den Eindruck, als wolle man es den Wählern unter dem Deckmantel der Bundestagswahl unterschieben. Es muss mehr informiert und über die Alternativen diskutiert werden. Dem starken basisdemokratischen Instrument, dass der Volksentscheid ist, ist dieser Volksentscheid nicht angemessen. Es sollten Dinge zur Entscheidung gestellt werden, die die Menschen richtig angehen und die ordentlich diskutiert werden.

Nachlassende Parteienbindung macht die Prognose von Wahlen besonders schwierig, meint Andreas Klee.Foto: pv

Nachlassende Parteienbindung macht die Prognose von Wahlen besonders schwierig, meint Andreas Klee. Foto: pv

Zur Person:
Prof. Dr. Andreas Klee ist Politikwissenschaftler und seit 2012 Direktor des Zentrums für Arbeit und Politik der Universität Bremen. Er forscht insbesondere über politische Bildung.

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