x3_Gehörlose_Fanclub_3sp_klein. Foto: pv Daniel Ehlers (2. von links) und Sascha Toscani (ganz rechts) vom „Deaf Werder-Fanclub“ („deaf“ ist Englisch für „gehörlos“) sind bei jedem Werderspiel mit dabei. Hier beim Auswärtsspiel mit anderen Werder-Fans. Foto: pv
Reportage

Gehörlose Werder-Fans: mittendrin, doch nicht dabei

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Totenstille, obwohl drumherum die Hölle tobt: Gehörlose Werder-Fans erleben Fussball im Stadion anders. Sie haben sich als „Deaf Werder-Fanclub“ zusammengeschlossen. Für sie geht es um mehr als nur um Zugehörigkeit.

Sonntag, früher Nachmittag, Bundesliga-Zeit: Der SV Werder tritt zum Auswärtsspiel an. Die Bremer sind mit einigen Tausenden angereist, eigentlich gibt es nur Sitzplätze, doch die Leute stehen, Schulter an Schulter, eingepfercht im viel zu kleinen Auswärtsblock.

Die Sonne brennt, das Bier fließt, es riecht nach Rauch und langen Anreisefahrten. Im Minutentakt donnern die Trommeln, treiben die Menschen an. Arme, mit Fan-Schals bestückt, gehen hoch, klatschen – rhythmisch, laut.

„Man macht es uns nicht einfach“

Dazu singen sie, Lieder vom Verein, von der Stadt, von der Weser. Es ist ein Hexenkessel, fast am Überbrodeln. Mittendrin stehen zwei Männer, Daniel Ehlers und Sascha Toscani. Sie schweigen. Die Arme sind oben, doch es fällt ihnen schwer den Takt zu halten.

Jeder Klatscher etwas zu spät. Sie setzen sich wieder. „Das ist genau das, was ich meine. Wir würden auch gerne mitsingen“, sagt Daniel sichtlich frustriert. „Aber man macht es uns nicht einfach.“ Gemeinsam sind sie als Club angereist, der „Deaf Werder-Fanclub“, ein Zusammenschluss von gehörlosen Werderanern – der einzige des Vereins.

Fast 50 Clubmitglieder

Daniel ist der Vorsitzende, von Beruf ist er Tischler. Der Club wurde 2009 gegründet. Damals waren es neun Leute, heute sind es fast 50. Daniel kam 2012 mit dazu. Werder-Fan ist er schon viel länger: „Seit ich denken kann“, sagt Ehlers.

Warum Werder, das weiß er nicht. „Ist einfach so“, sagt er lachend. Er redet schnell, man muss genau hinhören – im Stadion nahezu unmöglich. Oft wird es ihm das zu anstrengend, gerade wenn er tagelang nicht gesprochen hat, nur über Zeichensprache kommunizierte. 

Zeichensprache beim Pfeifkonzert

Um seinen Gegenüber zu verstehen, muss er auf den Mund schauen. Nur mit viel Mühe und zwei Hörgeräten kann er das Gesagte erahnen. Sascha ist ebenfalls zu 100 Prozent schwerhörig, reden tut er ungern. „Wegen der Aussprache“, so Daniel.

Er pausiert: Foul im gegnerischen Strafraum, die Schiedsrichterin lässt weiterlaufen. Die Menschen drumherum springen auf. Daniel dreht sich zu Sascha, wild gestikulieren sie: es sind kleine, kurze Zeichen, nur mit den Fingern ausgeführt.

Hoffenheim und Leipzig machen es besser

Ihre Aufgebrachtheit ist zu spüren. Im Block schrillt ein grelles Pfeifkonzert. Ein Fan mit Fischerhut aus der vorderen Reihe dreht sich um: „Das ist doch nicht zu glauben“, sagt er zu der Truppe. Sascha nickt und macht eine wütende Geste Richtung Spielfeld. Der Fan stimmt zu und dreht sich wieder um.

„Es ist schade“, sagt Daniel, „eigentlich ist man mittendrin, ein Teil des Ganzen, und dann doch irgendwie nicht.“ Die Gesänge kennt er nicht, obwohl er schon seit Jahrzehnten zu Werder-Spielen geht. Andere Vereine würden es besser hinkriegen, sagt er.

Hoffenheim und Leipzig etwa, dort gebe es Dolmetscher und auch Untertitel, die auf den großen Leinwänden laufen, mit Zusatzinformationen des Stadionsprechers – aber auch Gesang-Lyrics.

Im Katastrophenfall aufgeschmissen

Das würde sich Daniel auch für Werder wünschen. Doch nicht nur zwecks der Zugehörigkeit: „Wenn es ein Feuer gibt, sind wir die letzten, die es erfahren“, sagt er. Man sei bereits an den Verein herangetreten, so Daniel, „doch da tut sich nichts.“ Aufgeben wollen sie nicht, doch bis es soweit ist, müsse man sich mit den jetzigen Umständen abfinden.

Die grün-weiße Masse erhebt sich wieder, die Trommeln setzten zur finalen Fanfare an, Gesangs-Chöre schreien „Werder vor!“ Die Nachspielzeit läuft: Die Elf von der Weser startet einen letzten Angriff, es steht 1:1.

Frenetischer Jubel und Klatsch-Konzert

Ein Flanke von außen, ein Kopfball aufs Tor, drüber. Schlusspfiff. Die Fans toben. Ein Bier fliegt Richtung Spielfeldrand. Die beiden Clubmitglieder schauen sich an, die Mienen verfinstert. Der Mann von vorhin dreht sich wieder um: „Ich glaub, mich tritt ein Pferd!“, ruft er.

Diesmal antwortet Daniel: Mit der Hand fährt er unter dem Kinn nach vorne und streckt die Zunge dabei raus. Der Mann mit Fischerhut stimmt zu: „Ja kacke ist das.“ Als die Mannschaft nach Spielende zu der Fankurve läuft, stehen Daniel und Sascha mit auf.

Frenetischer Jubel, alle stimmen ins letzte Klatsch-Konzert ein, singen Werder-Lieder aus voller Kehle – alle, bis auf zwei. 

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