Der Informatiker Benjamin Tannert sucht nach geeigneten Wegen für Rollstuhlfahrer und will diese in einer Online-Plattform kartieren. Foto: Uni Bremen
Inklusion

Navi für Rollstühle: „Das bringt auch mir Spaß“

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Die Uni Bremen beschäftigt viele Nachwuchswissenschaftler, Forscher und Lehrende, die mit innovativen Ideen für Aufsehen sorgen – wie auch Benjamin Tannert. Der Informatiker will Rollstuhlfahrern die Wege erleichtern.

Benjamin Tannert kann zwar aufstehen, jedoch nur kurz. Die meiste Zeit ist der 34-Jährige an seinen Rollstuhl gefesselt. Unmittelbar nach seinem Unfall 2005 konnte er im Krankenbett nur ganz vorsichtig einen Zeh bewegen.

Seit einem halben Jahr arbeitet Benjamin Tannert in der Geoinformatik-Gruppe „Human-Computer Interaction“ von Lichtenberg-Professor Johannes Schöning. Navigation ist das Hauptthema dieser Forschungsgruppe im Fachbereich Mathematik/Informatik der Universität Bremen.

Algorithmen, die helfen

Wie können mobile Geräte verbessert werden? lautet der Ansatz im weitesten Sinne. Benjamin Tannerts Thema ist die Rollstuhl-Navigation. Er sucht nach Algorithmen, die für die Betroffenen Wege von A nach B vereinfachen können.

Der Informatiker ist gebürtiger Bremer. Aufgewachsen in der Vahr, legte er sein Abitur an der KSA, der heutigen Oberschule an der Kurt-Schumacher-Allee, ab. „Ich liebte die Informatik und hatte nur dieses eine Studienziel“, sagt er.

„Egal, ob ich im Rollstuhl sitze“

2003 begann er an der Universität Bremen. Das Studium ließ sich gut an, machte Spaß. Bis zu jenem Tag im Juni 2005, als ein angetrunkener Autofahrer dem jungen Mann auf dem Motorrad die Vorfahrt schnitt. Benjamin Tannert spricht nüchtern über seine Querschnittslähmung, über Prognosen und Hoffnungen.

„Was mich motiviert hat? Für ein Studium der Informatik ist doch egal, ob ich im Rollstuhl sitze, da musste ich mir keine Sorgen machen“, sagt er. 2010 hat er sein Diplom abgelegt und ein Lernsystem für Kinder mit geistiger Behinderung entwickelt.

Finanzielle Unterstützung

„Es soll sie im Schulalltag unterstützen. Bei der Thematik habe ich mich als Mensch mit Einschränkungen wiedergefunden“, unterstreicht er. Seine wissenschaftlichen Themen kreisen von da an um diese Zielgruppe. „Es war der Grundgedanke aller Projekte.“

In seiner Dissertation erarbeitete der Informatiker ein „emotionssensitives Assistenzsystem für Menschen mit Lernschwierigkeiten“ in enger Kooperation mit dem Martinshof Bremen. Finanzielle Unterstützung fand er in dieser Zeit im Pilotprogramm Inklusion in der Wissenschaft, das an der Universität Bremen aufgelegt wurde.

Hindernis Kopfsteinpflaster 

Gemeinsam mit Masterstudierenden vergleicht er derzeit Wege für Rollstuhlfahrer mit Wegen für Fußgänger. „Google Maps bietet das nicht an, aber es gibt Plattformen wie Open Route Service oder Routino. Die berücksichtigen auch Barrieren.“

Welche machen Rollstuhlfahrern besonders zu schaffen? „Untergrund wie Sand oder buckliges Pflaster, Steigungen, nicht abgesenkte Bordsteine“, zählt der Wissenschaftler auf. Ein Beispiel: „Ich besuche mega-gern den Bremer Freimarkt, aber das Kopfsteinpflaster macht es mir schwer, ihn zu genießen.“

Rollstuhl mit 360-Grad-Kamera 

Zunächst will er herausfinden, welche Strecken Menschen mit Rollstuhl am meisten nutzen und hat in 15 Großstädten Deutschlands die Planungsämter sowie das Statistische Bundesamt angefragt. Die Antwort: „Wir wissen es nicht, hätten aber auch gerne solche Informationen.“

Ausgangspunkt für viel befahrene Wege sind nun erst einmal Behindertentoiletten und Zielpunkte „Points of Interest“ im Umkreis von zwei Kilometern, die interaktive Karten angeben. Der nächste Schritt wird eine 360-Grad-Kamera sein, die sich Tannert an seinen Rollstuhl heftet.

Informationen fürs Navi

Mit dem Bilderkennungssystem will er ähnlich wie in Google Street View Hindernisse aufnehmen. Anschließend will er einen automatischen Algorithmus entwickeln, der die Bilder auswerten kann.

Die Informationen sollen dann in Navigationssysteme einfließen. „Die können dann wiederum sagen, nimm schon eine Ampel vorher, bei der nächsten ist der Bordstein nicht abgesenkt.“ Drei Jahre will Benjamin Tannert an seinem Thema arbeiten. „Ich mache etwas für Menschen, die mit Einschränkungen leben. Das bringt auch mir Spaß“, sagt er.

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