Lorenzo Tegner verführt Aug in Aug zu sinnlichen Genüssen. Foto: Fischer
Kalte Köstlichkeiten

Unterwegs im Eiswagen: der Lebensversüßer

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Während die Hansestadt und der Rest Deutschlands unter der Hitze-Welle ächzt, macht Lorenzo Tegner Menschen glücklich. Der 29-Jährige fährt Eiswagen, einen der letzten in Bremen. Wir haben ihn auf seiner Tour begleitet.

Von Jens Fischer

Seinen Finger presst Lorenzo Tegner unbeirrbar auf den Signalknopf, solange er mit dem Auto den Speicher XI umrundet. Auf dass seine Sirene die Hochschule für Künste (HfK) mit metallisch schrillen Avantgarde-Klängen beschallt.

Für einige klingt das warnend bis bedrohlich. Auf Menschen älterer Generationen wirkt das akustische Ereignis wie auf den Schriftsteller Marcel Proust die in Lindenblütentee getunkten Madeleines: als Schlüssel zur Vergangenheit. Kaum zerging ihm das Gebäck auf der Zunge, überströmten ihn Erinnerungen an selige Kindheitstage.

Heute ruft der Klingel-Sound köstlich nostalgische Gedanken an Schulpausenzeiten wach, in denen Eiswagen bimmelnd mit ihren cremig-kühlen Verheißungen zum Seelentrösten und Stimmungsaufhellen vorfuhren. In Bremen ist Tegner einer der letzten, der diesen Service noch anbietet. Wochentäglich zwischen 13 und 22 Uhr in Walle, Gröpelingen, Oslebshausen und Grambke.

Italiener im Italiener unterwegs

Da er seine Köstlichkeiten als „original italienisch“ vermarktet, passt es imagebildend prima, selbst echter Italiener zu sein. Vor vier Jahren kam der Lebensversüßer nach Deutschland und ist seither für die Gröpelinger Eisdiele Molin mit dem eigens zum Verkauf umgebauten Transporter unterwegs, der natürlich aus einer italienischen Manufaktur des Fiat-Konzerns stammt.

Bei den HfK-Studenten benötigt das Klingeln keinen Umweg über die Vergangenheit, um die Speichelproduktion anzuregen. Sie wissen aus Erfahrung, kurz nach dem Signalreiz öffnet sich die Klappe des Eismobils. 19 Sorten wollen in der Waffel, im Becher oder als Milchshake genossen werden.

„Einen großen Schokobecher, sonst sterbe ich“

Tegners Tour umfasst von März bis Oktober 90 solcher fest vereinbarten Stopps und sorgt durch diese Kontinuität für einen relativ festen Kundenstamm vor Kitas, Schulen, Privatwohnungen, Seniorenheimen, an öffentlichen Plätzen und in der Mittagspausenzeit auch auf Parkplätzen der Überseestadt-Büros. Es dauert dort nur Sekunden, bis die ersten Konsumenten, teilweise im Notfall-Modus, Schlange stehen.

„Mach mir bitte einen großen Schokobecher, sonst sterbe ich.“ An einigen Orten warten schon 20 Personen auf den 29-jährigen Sonnyboy. Ein idealer Eisverkäufer von einnehmender Freundlichkeit. Schleckermäulerinnen plaudern bei der Rückkehr ins Büro gern mal angeregt über die maskuline Romantik seiner tätowierten Arme. Auch das gebrochene, galant italienisch akzentuierte Deutsch passt prima zur Charme-Offensive.

Extra-Stopps für Kinder

Der Umgangston am Eiswagen ist familiär. Man kennt sich. Kunden müssen nicht einmal „wie immer“ sagen, ein Blickkontakt genügt und sofort werden drei Kugeln Erdbeere kredenzt. „Aber heute bitte mit Sahne, sonst schaffe ich es nicht bis Feierabend.“ Tegner ist da mitfühlend: Kein Klecks, kein Häubchen – ein schneeweißer Mount Everest erhebt sich über dem Eisgrund, Herzwaffel on top.

„Wir bekommen in diesem Sommer täglich bis zu 100 Anrufe von Firmen, die um einen Besuch bitten, aber die Tour ist so eng getaktet, da gibt es kaum Chancen für weitere Haltepunkte“, erklärt Eisdielen-Chefin Ivonne Boktolot-Favaretto. Denn Tegner selbst legt schon Zwischenstopps ein, wenn Kinder ihn vom Straßenrand für eine Kugel Nutella herbeiwinken.

Viel zu verdienen gibt es nicht

„An heißen Tagen wie diesen verkaufe er locker 300 Kugeln à 1 Euro“, sagt der fliegende Eishändler. Ein Grund, warum es kaum Konkurrenz auf dem Geschäftsfeld gibt. Richtig viel zu verdienen ist dort nicht. Der Unterhalt des Wagens sei recht teuer, ständig etwas kaputt und Benzin teuer.

Geld macht die Eisdielen-Chefin in drei Filialen mit 13 Mitarbeitern – unter anderem ihrem Mann, ihren zwei Kindern und zwei Cousins. Morgens um 8 Uhr beginnt die Eisproduktion: täglich 560 Liter in 40 Geschmacksrichtungen.

Hits seien weiterhin Vanille, Schokolade, Stracciatella und bei der Hitze auch Zitrone. Trend der Saison? „Im Wagen ist das Amarena“, sagt Tegner. Stapelt drei Kugeln zu einer schrundigen Skulptur. Schon muss er weiter, auch an der nächsten Straßenecke wird nach Klingelreizen und dem Geschmack des Sommers gelechzt.

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