Die beiden Künstlerinnen Lijonka und Ruslana am noch eingerüsteten Giebel während ihrer Wandmalerarbeit. Foto: Erwin Duwe Die Künstlerin Lijonka (links) und ihre Kollegin Ruslana am noch eingerüsteten Giebel während ihrer Arbeit am Wandbild. Foto: Erwin Duwe
Lilienthal

Gemälde an der Giebelwand weist zur Kunststiftung

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Die Künstlerin Lijonka hat den Giebel des Neubaus für eine Wohnanlage neben der Kunststiftung gestaltet.

Die Gerüste sind abgebaut – der Blick auf den Giebel, des wohl bis Dezember fertig gestellten Neubaus für 18 Wohnungen mit Service der Kunststiftung Lilienthal, zeigt, endlich unverstellt, ein riesiges Wandbild: Aus Richtung Truper Deich kommend sieht man eine Frau mit verschränkten Armen am Fenster stehen. Sie hält eine Lilie in der Hand, hinter ihr ist die Truper Kapelle zu sehen. Ob die Darstellung wirklich die das Geschehen hinter der Scheibe abbildet oder ob die Person selbst wiederum vor einem Gemälde steht, will Lijonka dem Betrachter überlassen: „Ja, der Rahmen vor dem die Frau steht, könnte der Fensterrahmen, aber genauso ein Bilderrahmen sein“, sagt die Künstlerin.

Dass Lijonka eine Frage offen lässt, kann nach einem Gespräch mit ihr eigentlich überhaupt nicht angenommen werden. Zu viele Gedanken hat sich die 44-Jährige um ihr Motiv gemacht. Im Rücken der Frau sieht man auf die Buche, die tatsächlich am Haus der Kunststiftung ihren Platz einnimmt. Wer ins Gemälde, oder aus dem fiktiven Fenster der nicht vorhandenen obersten Etage schaut, sieht Stühle und Tische des Kunst-Cafés im Vorgarten des einstigen Küsterhauses. Lijonka hat ihre Szene in einer Größe von rund 50 Quadratmetern auf den speziellen Mineralputz gebracht – und nichts dem Zufall überlassen. Angefangen mit Skizzen zur Abstimmungmit ihrem Auftraggeber, Hans Adolf Cordes, über die Anfertigung der Matrix für die Übertragung ins Großformat, bis zur Materialauswahl, die spezielle Farbe wurde fast wie Tusche, recht wässrig auf den saugfähigen Untergrund aufgetragen, um freskenhaft zu wirken und eine besondere Stimmung auszustrahlen. Alles geschah mit großer Fachkunde, die aus Sibirien stammende Lijonka hat in ihrer Heimat Wandmalerei studiert und besitzt das Diplom für angewandte Kunst.

Wandmalerei wird hierzulande nicht eigenständig unterrichtet

Lijonka (rechts) und ihre Künstlerkollegin Ruslana vor dem Wandbild am Neubau neben der Kunstschau. Foto: Erwin Duwe

Lijonka (rechts) und ihre Künstlerkollegin Ruslana vor dem Wandbild am Neubau neben der Kunstschau. Foto: Erwin Duwe

Wandmalerei wird hierzulande gar nicht als eigenständiges Fach studiert. „Weil das Monumentale und Große in der NS-Zeit diskreditiert wurde“, sagt die Russin. Die Malerei auf riesigen Flächen wurde in Russland bis in die Gegenwart gepflegt, man denke an die Dekorationen der U-Bahnhöfe der Moskauer Metro. „Ein Wandbild passt sich in seine Umgebung ein, es wird zum Bestandteil der Architektur“, sagt Lijonka. Sie kam vor 14 Jahren nach Deutschland, aus einem als Museumsreise geplanten Aufenthalt wurde mehr, weil sie hier ihren Mann kennenlernte. Die Künstlerin und Kunstlehrerin ist seit fünf Jahren auch in Lilienthal bekannt, sie führt an den Wochenenden Gäste durch die Ausstellung in der „Kunstschau Wümme Wörpe Hamme“. Für Stiftungschef Hans Adolf Cordes war es klar, wen er mit dem Wandbild am Neubau für seniorengerechte Wohnungen beauftragen würde. Es war wohl ein Glücksfall für beide Seiten, Lijonka hatte schon lange keinen ähnlichen Auftrag für eine monumentale Arbeit angeboten bekommen.

Ihr Motiv der Frau mit der Blume soll den Vorbeifahrenden auf der Lilienthaler Allee den Hinweis auf die dort befindliche Galerie geben. Für Autofahrer bleibt sicher nur ein Moment, aber wer täglich entlang kommt, findet immer neue Gesichtspunkte. Lijonka hat ihr Wandbild, zu dessen Ausgestaltung ihre Freundin und Studienkollegin Ruslana beitrug, sich auch inhaltlich an die Gemäldeauswahl in der Kunstschau orientiert.

„Ich wollte eine Frau als eine ganz normale Frau darstellen“

„In der Kunst ist die Darstellung der Frau als Muse bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts sehr populär gewesen“, sagt Lijonka. Und „eine Frau als eine ganz normale Frau darzustellen“, kann auch heutzutage passen, ist sie sicher: „da bin ich vielleicht etwas Retro angehaucht“, schmunzelt Lijonka. Das Kleid hat sie hoch abgeschlossen gemalt, der Kragen wirft eine Falte, so mag es sich wohl früher geziemt haben. Lijonka hat Bildnisse von der heiligen Maria vor Augen. Das Wandbild sollte natürlich keine Ikone werden. Dass die Frau ein ärmelloses Kleid trägt, bringt sie modisch gesehen in die Gegenwart.

Und sie ist auch in Bezug auf ihre Körperhaltung wesentlich selbstbewusster dargestellt, als es das Frauenbild des 19. Jahrhunderts zugelassen hätte. Mit Bedacht hat Lijonka die Farben der Lilie ausgewählt. Die Blume aus dem Wappen Lilienthals ist nicht weiß gemalt, Lijonka mied an dieser Stelle jede Symbolik. „Weiß stände für Unschuld, Gelb wäre Ausdruck für Trennung – das alles wollte ich nicht, so wählte ich die möglichst deutungsfreien Farben Rot und Weiß.“ Sie hat eine reale Frau gemalt, ihre Darstellung soll Vergangenheit und Gegenwart verbinden, „sie könnte sogar aus der Zukunft kommen“, sagt Lijonka. Kunst muss sich der Frage stellen, was den Betrachter gemein macht mit dem Gestern und welcher Anteil vermutlich daraus ins Heute mitgenommen wurde. Lijonka versucht die Zeit zu verwischen.

Veranstaltung zum Thema Wandbilder

Wer solchen Gedanken folgen möchte, den bittet sie ins Museum gleich nebenan. Dort wird ihr Thema, die Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts aufgenommen, es laden so viele Bilder auf Entdeckungsreisen ein. Und an den Wochenenden ist es Lijonka selbst, die den Besuchern ihre Lieblingsmotive zeigt. Übrigens am Sonntag, 15. September, spricht die zuerst so schüchtern wirkende und dann so leidenschaftlich argumentierende Künstlerin auch über ihre eigene Arbeit. Ab 11 Uhr wird in der Kunstschau, Trupe 6, über Wandmalereien gesprochen.

 

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