Spielerisch kann vor allem Thomas Lichtenstein (rechts) in der Produktion glänzen. Foto: Stephan Walzl
Oldenburg

Strukturfreies Verarbeiten

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„Überleben“ am Staatstheater Oldenburg will die Folgen der Klinikmorde dokumentieren

Dokumentationen haben, wie Theaterstücke auch, einen Spannungsbogen. Zumindest die Guten. Am Ende geht man mit einem Gefühl hinaus, an etwas teilgenommen, vielleicht sogar etwas erlebt zu haben. Soviel vorweg: „Überleben“ schafft das nicht.

Zugutehalten kann man der Produktion, die am vergangenen Samstag ihre Premiere im Staatstheater Oldenburg feierte, dass sie sich behutsam mit ihrem Thema auseinandersetzt. Es geht um nicht weniger als die weitreichenden Folgen, die die Taten des Serienmörders Niels Högel nach sich ziehen. Bekanntlich tötete er viele Patienten im Rahmen seiner Tätigkeit als Pfleger in Oldenburg und Delmenhorst. Der Text von „Überleben“ besteht komplett aus Interviewaussagen, also aus den tatsächlich gesprochenen Worten Betroffener, die über ihr eigenes Schicksal, über die Folgen des Falls und über mögliche Verarbeitungsmechanismen reden. Zwischendurch nehmen sich die Akteure die Zeit (und das Licht), um mit dem Publikum zu sprechen. Fragen zu stellen wie: „Wie haben Sie den Fall verfolgt?“ oder „Was wäre ein mögliches Mahn- oder Denkmal?“

Um es zu verdeutlichen: Skandalisiert wird in dem Stück nicht, vielmehr gehen alle Beteiligten mit der größtmöglichen Pietät vor. Dafür muss man „Überleben“ loben. Ein gutes Theaterstück wird es dadurch jedoch nicht. Es mag schwierig gewesen sein, die Textgrundlage in eine dramaturgische Form zu bringen, die eine stringente Geschichte erzählt. So bleiben vor allem vier größere Monologe, jeder Schauspieler bekommt einen, die schlicht willkürlich verharren und ohne größeres Motto aneinander gereiht wirken.

Einzelleistung sticht klar hervor

Nicht unerwähnt bleiben soll aber die schauspielerische Leistung von Kammerschauspieler Thomas Lichtenstein. Sein Monolog birgt einen frühen Höhepunkt des Stückes, mit allen Mitteln der Kunst lässt Lichtenstein an der persönlichen Trauer, Wut und Verzweifeln vor der eigenen Hilflosigkeit teilhaben. Wenn man mag, könnte man dieses Theaterstück episodisch nennen. Die dementsprechende Lichtenstein-Episode: ein Triumph, getragen von der Qualität des einfühlsamen Spiels.

Ein weiterer Lichtblick ist das Bühnenbild, auf nacktem Boden stehen einige schlichte Bänke und ein großer weißer Block. Schon bald stellt sich heraus, dieser Block lässt sich in andere Perspektiven setzen, bietet ein vielschichtigeres Inneres, als man auf den ersten Blick glauben mag. In der Tat wird das, was eben noch weißer Quader auf schwarzem Grund war bald zum Treppenhaus, bald zum sonst unsichtbaren Gerüst. Das Spiel mit diesem einen wandelbaren und durchdachten Bühnenelement führt dann auch zu vereinzelten inspirierten Momenten. So wird dargestellt, wie der Schaffensprozess des Stückes abgelaufen sein mag: Hinter verschlossenen Türen wird lebhaft diskutiert. Die Tür ist tatsächlich geschlossen, die Darsteller kaum verständlich. Dem Publikum bleibt so der Eindruck, die Macher hätten sich eingehend mit der Materie des dokumentarischen Theaterstückes beschäftigt. Die Zuschauer bekommen von den Details jedoch eher wenig mit. Irgendwie exemplarisch für diese Produktion.

Die Mordserie, die in „Überleben“ behandelt wird, ist ein schrecklicher, ein in der Bedeutung seiner Abscheulichkeit kaum zu überbietender Fall. Das Theaterstück „Überleben“ versucht die Folgen für die vielen Betroffenen auf möglichst würdevolle Art zu behandeln, bleibt hierbei jedoch insofern auf der Strecke, als dass dem Zuschauer keine Erleuchtung, keine Einsicht geboten wird. Ob dies bei einem so jungen Fall überhaupt möglich ist, bleibt zu beweisen.

Die nächsten Aufführungen von „Überleben“: 5. März, 13. März, 21. März, 4. April, 17. April, 24. April jeweils 20 Uhr. 16. und 17. Mai, jeweils 18 Uhr und 3. Juni sowie 17. Juni, jeweils 20 Uhr.

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