Der SPD-Politiker Joachim Schuster gehört seit 2014 dem Europäischen Parlament an, sitzt dort auch im Wirtschaftsausschuss. Von 1999 bis 2006 war er in der Bürgerschaft. Foto: Schlie
Interview

Schuster: „Man muss jetzt handeln“

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Bremer Europa-Abgeordneter Joachim Schuster über den EU-Gipfel und neue Hilfen.

Weser Report: Herr Schuster, demnächst wollen die Staats- und Regierungschefs der EU ein Konjunkturpaket über 750 Milliarden Euro vereinbaren. Für Italien sind 171 Milliarden Euro vorgesehen, für Spanien 149 Milliarden, für Deutschland nur 28 Milliarden. Warum?

Joachim Schuster: Die Verteilung richtet sich nach den Auswirkungen der Krise. Deutschland kann viel allein stemmen. Das können Italien und Spanien nicht, auch Frankreich nicht in dem Umfang. Aber am Ende werden alle EU-Staaten von dem Programm profitieren.

Wer gibt das Geld frei?

Über das Gesamtpaket stimmt das Europäische Parlament ab, auch die nationalen Parlamente der 27 EU-Staaten müssen zustimmen. Aber die Abgeordneten entscheiden nicht über die Einzelposten. Jedes Land muss ein nationales Aufbauprogramm vorlegen, und die Europäische Kommission prüft, ob die aufgestellten Kriterien erfüllt sind. Sie kontrolliert später auch, ob das Geld sachgemäß ausgegeben wurde. Gefördert werden sollen vor allem die digitale Transformation, der Klimaschutz und das Gesundheitssystem.

Zur Finanzierung des Programms muss die EU Kredite aufnehmen. Es wäre das erste Mal seit Gründung der Währungsunion, dass sie sich verschuldet und jedes Land dafür haften muss. Deutschland im schlimmsten Fall für 750 Milliarden Euro?

Nein, nur in Höhe des Anteils, den es bisher schon zum Gesamtetat der EU beträgt. Das sind rund 25 Prozent. Und wir müssen uns klar machen: Wenn Frankreich, Spanien und Italien nicht auf die Beine kommen, kommt es unsere Exportwirtschaft erst recht nicht.

Erlaubt der EU-Vertrag eine gemeinschaftliche Haftung?

Er erlaubt, dass die EU Schulden aufnimmt, für die alle gemeinschaftlich haften. Vorausgesetzt, es sind neue Schulden und alle Mitgliedsländer haben zugestimmt. Verboten ist eine gemeinschaftliche Haftung für Schulden, die ein Mitgliedsland schon vorher aufgenommen hat.

Geplant ist auch, dass die EU-Kommission neue Einnahmen erhält. Drohen neue Steuern?

Vorgesehen sind Eigenmittel. Das heißt, der EU-Kommission stehen Mittel zu, über deren Höhe nicht jedes Mal neu entschieden wird. Schon jetzt erhält die EU rund 11 Prozent aller Einnahmen aus der Mehrwertsteuer. Künftig könnte die Kommission zum Beispiel einen Anteil aus dem Handel mit Emissionszertifikaten erhalten. Es könnte auch eine Transaktionssteuer geben, die beim Handel mit Wertpapieren anfallen würde.

Finanzminister Olaf Scholz versucht schon seit Langem, eine Transaktionssteuer einzuführen. Bisher vergeblich.

Wir stehen an einer Weggabelung. Wenn man die EU nicht an den Rand des Zusammenbrechens bringen will, muss man jetzt handeln. Das geht nur mit europäischer Solidarität. Länder beispielsweise, die dazu beitragen, dass Unternehmen Gewinne verschieben und so Steuern zu Lasten anderer Länder vermeiden können, müssen jetzt zurückstecken. Wir brauchen eine Koordinierung der Unternehmenssteuer.

Brauchen wir nicht vor allem eine gemeinsame europäische Finanzpolitik?

Experten sehen es schon als Fehler bei der Gründung der Währungsunion an, dass es keine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik gibt. An dieser Stelle müssen wir die EU weiterentwickeln.

Bremen beschließt den Bremen-Fonds, die Bundesregierung ein Konjunkturprogramm und jetzt auch die EU. Wann steigen die Steuern, um die Ausgaben zu finanzieren?

Am Ende des Tages wird es eine Rechnung geben. Aber wenn wir nichts tun, fällt sie noch viel höher aus. Und wenn durch die Programme die Wirtschaft wieder stärker wächst, die Unternehmen mehr verkaufen, zahlen sie auch mehr Steuern, ohne dass man den prozentualen Steuersatz anheben müsste.

Am 1. Juli übernimmt Deutschland für ein halbes Jahr die Ratspräsidentschaft der EU. Welche Projekte stehen dann an?

Den absoluten Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft wird die Überwindung der Coronakrise bilden. Dabei wird es sehr wichtig sein, die Krisenbekämpfung mit Zukunftsgestaltung zu verbinden – Stichwort Bekämpfung des Klimawandels und Gestaltung der Digitalisierung. Daneben gibt es aber auch wichtige außenpolitische Vorhaben. Der EU-China-Gipfel wird wegen Corona zwar verschoben, aber er wird kommen. Dort wollen wir ein umfassendes Investitionsabkommen schließen, weil China ausländische Investitionen – vorsichtig gesagt – anders behandelt als die EU. Auch ein EU-Afrika-Gipfel ist geplant.

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