Bei der Theaterpremiere von „Der Nibelungen Wut – Furor Teutonicus“, in der vergangenen Woche, feierte das Publikum das Ensemble. Foto: Marianne Menke
Shakespeare Company

Brandaktuelle Sage

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„Der Nibelungen Wut – Furor Teutonicus“ demaskiert sebsternannte Helden als verantwortungslose Egoisten.

Die Bremer Shakespeare Company feierte Donnerstag eine doppelte Premiere. Es handelte sich um die Uraufführung von „Der Nibelungen Wut – Furor Teutonicus“ und die erste Aufführung im Theater am Leipnizplatz nach sechs monatiger Zwangspause. Und das Publikum im ausverkauften Saal – was in Zeiten von Corona lediglich 80 Besucher bedeutet – feierte ihre Helden auf der Bühne.

Gradios: Tobias Dürr als Hel und Svea Meiken Auerbach als Brunhild Foto: Marianne Menke

Gradios: Tobias Dürr als Hel und Svea Meiken Auerbach als Brunhild Foto: Marianne Menke

Wie in einer Reha-Gruppe nach einem Burnout, die allerdings nur noch aus drei Patienten und einer desillusionierten Therapeutin besteht, sollen sich Brunhild, Kriemhild und Hagen ihrer eigenen Vergangenheit stellen und nicht nur die Vergehen der anderen aufzählen, sondern sich auch der eigenen Fehler bewusst werden.

Verstockte Kinder im Kita-Alter

Wie man es von verstockten Kindern im Kita-Alter und zunehmend auch immer mehr Präsidenten kennt, maulen, schreien und bekämpfen sich die gefallenen Helden lieber, als über die eigene Vergangenheit nachzudenken.

Wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“ wiederholt sich das Prozedere tagtäglich, sehr zum Verdruss von der Leiterin der Hölle und ihrem Pagen Otto. Die gefallenen Helden rasen, starr nach vorn schauend, dem wahnsinnigen Gemetzel entgegen. Man möchte sie an den verkrampften Schultern fassen und schütteln und sie anbrüllen „Haltet ein bevor ihr alle in den Untergang jagt.

Nibelungen mit tagesaktuellem Touch

Der deutschesten aller deutschen Sagen um Siegfried den Drachentöter und den Nibelungenschatz hat die Regisseurin Johanna Schall einen tagesaktuellen Touch verliehen, der beeindruckend und beängstigend zugleich ist.

Als Brunhild, Kriemhild und Hagen Siegfried nicht mehr als unfehlbaren Helden sehen, sondern erkennen wie dumm, arrogant er war, dazu ein Frauenschläger und Vergewaltiger, taucht eine – auf den ersten Blick sympathisch wirkende – junge Frau aus der Gegenwart in der Hölle auf.

Maria Hinz als Alexa sorgte mit Soundelementen für die passende Stimmung. Foto: Marianne Menke

Maria Hinz als Alexa sorgte mit Soundelementen für die passende Stimmung. Foto: Marianne Menke

Wie man es auch bei den Akteuren der „Neuen Rechte“ und den selbsternannten „Aufgewachten“ der Querdenken-Bewegung registriert, nutzt sie die Vergangenheit, um eine erinnerungspolitische Wende zu fordern.

Sie schlägt Grenzen zum Schutz der Volksgesundheit vor und ruft zu einem selbstbewussten Patriotismus auf. Wie man es momentan bei einigen Gegnern der Corona-Maßnahmen erleben, werden ihre anfangs noch naiv und unterwürfig vorgebrachten Ideen immer brutaler und ihre Wortwahl immer aggressiver und plötzlich ist davon die Rede, eine Revolution anzufangen und das Netz als Kriegsplatz zu nutzen. Verantwortungslosigkeit wird als Heldenqualität glorifiziert.

Die Inszenierung ist mitreißend, spannend, skurril, witzig und aufrüttelnd zugleich. Die Schauspieler füllen ihre Figuren so gekonnt aus, dass die Grenzen zwischen Schauspiel und Realitiät auf erschreckende Weise verschwimmen. In einer Demokratie darf kein Platz für „Helden“ sein, die ihre eigenen Wünsche über das Wohl der Gesellschaft stellen und Vielfalt als etwas bedrohliches sehen.

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