Frank Imhoff, CDU-Mitglied und seit Juli 2019 Präsident der Bürgerschaft, hatte Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble schon eingeladen. Foto: Schlie
Bürgerschaft

„Schüler in die Bürgerschaft“

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Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff zu einem Jubiläum und dem Politikwandel.

Weser Report: Herr Imhoff, die Bürgerschaft könnte ein Jubiläum feiern. Vor 75 Jahren, am 17. April 1946, trat sie zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen. Warum feiern Sie nicht?

Frank Imhoff: Wir hatten eine Feier geplant, auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble wollte kommen. Aber nachdem der Inzidenzwert die Marke von 100 überschritten und Bremen die Notbremse gezogen hatte, konnten wir nicht anders als abzusagen. Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, im Oktober zu feiern? Im Oktober 1946 tagte die erste frei gewählte Bürgerschaft. Zuvor hatten die Alliierten die Bürgerschaft eingesetzt.

Heute diskutieren die Menschen im Internet, Politiker in Talkshows. Welche Bedeutung haben die Debatten in der Bürgerschaft noch?

Wilhelm Kaisen, Bremens erster Nachkriegspräsident, hat in seiner Rede vor 75 Jahren gesagt: „Jetzt muss die Demokratie die Wunden der Diktatur heilen.“ Das war sehr weise und es hat funktioniert. Heute haben wir eine andere Aufgabe. Es gibt heute Kräfte, die die Demokratie bekämpfen. Darum müssen wir die parlamentarische Demokratie, die beste Staatsform, die wir kennen, umso mehr mit Leben erfüllen und wachsam schützen.

Waren früher die Reden in den Parlamenten nicht spannender als heute?

Vor 75 Jahren war die Wortwahl eine andere. Heute sind wir einfühlsamer geworden, rücksichtsvoller in den Parlamenten. Außerdem gibt es mehr fachspezifische Themen, wo es allein um die fachliche Auseinandersetzung geht. Aber in einer Zeit, wo insbesondere im Internet verbreitete Hassreden zum Problem unserer Gesellschaft werden, ist es richtig, in den Parlamenten nicht so zu polarisieren. Streiten, ja. Streit gehört zur Demokratie, aber in der Sache.

Wir groß ist noch das Interesse von Bürgern, als Zuschauer zu den Sitzungen zu kommen?

Heute sehen viele die Demokratie als selbstverständlich an. Das war in den Jahren direkt nach dem Krieg anders. Da gab es ein hohes politisches Interesse, weil man das Neue, die Demokratie, die freie Meinungsäußerung leben konnte.

Jetzt werden wegen Corona Grundrechte eingeschränkt.

Wir haben eine Extrem-Situation – aber die freie Meinungsäußerung ist nicht eingeschränkt. Auch
Demos finden statt.

Ich kann nicht mehr beliebig viele Leute treffen, mancherorts gibt es Ausgangssperren.

Ja, es ist ein Stück Freiheit verloren gegangen. Ein Stück, nicht die komplette Freiheit. Aber wir haben eine extreme Situation. Die Politik muss abwägen zwischen dem Gesundheitsschutz und einzelnen Grundrechten. Das Wichtigste ist, die Pandemie zu bekämpfen, damit wir all unsere Freiheiten wieder zurückbekommen.

Ausgerechnet jetzt will die Bundesregierung das Infektionsschutzgesetz ändern, um mehr Kompetenzen gegenüber den Ländern zu bekommen.

So eine extreme Situation wie jetzt hatten wir in den letzten 75 Jahren nicht. Wenn die Pandemie vorbei ist, müssen wir gucken, was gut gelaufen ist und was nicht, was wir verändern müssen, um auf den nächsten Extremfall vorbereitet zu sein. Es geht ja nicht darum, dass der Bundestag alles entscheidet und die Landtage nichts mehr, wenn eine Pandemie kommt. Wir müssen das Verhältnis zwischen Bund und Ländern optimal ausrichten.

CDU und SPD saßen schon 1946 in der Bürgerschaft, verlieren aber stark an Zustimmung. Neigt sich die Zeit der Volksparteien dem Ende zu?

Volksparteien haben es heute schwerer, weil viele Menschen sich nicht für die Breite der Politik interessieren, sondern nur für konkrete Maßnahmen, von denen sie direkt betroffen sind. Zum Beispiel, ob vor mein Haus ein Windrad gestellt wird? Warum muss ich so lange im Stau stehen? Warum wird die Aussicht vor meinem Haus zugebaut? Wir müssen dafür werben, dass viele Dinge zu beachten sind, dass ein Rad ins andere greift. Politiker werden ja gewählt, um aufs Ganze zu schauen, um die ganze Stadt im Auge zu behalten. Vor allem bei jungen Leuten müssen wir dafür werben, dass Parteien wieder eine Alternativen zu Bürgerinitiativen werden.

Es gibt ja schon die Forderung nach Volksbegehren auf Stadtteilebene.

Das wäre schwierig und das ist auch zu kleinteilig. Unsere Demokratie ist bereits sehr breit aufgestellt. In fast jedem Stadtteil lebt ein Abgeordneter der Bürgerschaft. Dann haben wir die Beiräte, wo sich jeder Bürger an den Beratungen beteiligen kann.

Wie wollen Sie die Jugend für Politik begeistern?

Gemeinsam mit der Bildungssenatorin Claudia Bogedan wollen wir in der Bürgerschaft ein neues Konzept auf den Weg bringen, um jungen Menschen die Politik näherzubringen. Nach einer Vorbereitung im Unterricht sollen künftig alle Schülerinnen und Schüler in ihrer Schulzeit mindestens einmal die Bürgerschaft besucht haben, um Politik vor Ort zu erfahren.

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