Martin Böckmann, Direktor der Bremer Caritas, ist seit Juli Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, ein Zusammenschluss von sechs Spitzenverbänden, darunter Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt und Jüdische Gemeinde.Foto: Schlie
Interview

„Pflege wird teurer“

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Wohlfahrtschef Martin Böckmann spricht über die Folgen von Corona in der Betreuung.

Weser Report: Herr Böckmann, wie wirkt sich Corona langfristig auf die Betreuung von Kindern und Senioren aus, wie auf die Arbeit in den Pflegeeinrichtungen?

Martin Böckmann: Es werden in allen Bereichen dauerhafte Folgen bleiben, insbesondere was die Hygienestandards betrifft, die Dienstkleidung und den Rhythmus der Reinigung. Die Pflege wird auf eine höhere Stufe gehoben. In der Jugendhilfe muss man davon ausgehen, dass die Folgen für viele Kinder und Jugendlichen noch nicht klar sind. Aber unsere Fachleute in der Jugendhilfe können schon sagen, dass die Anzahl von depressiv erkrankten Kindern deutlich gestiegen ist, weil sie während der Pandemie weniger oder gar keine Sozialkontakte hatten. Auch Überernährung ist ein Thema. Viele haben wenig Sport getrieben, saßen häufig zu Hause. Insgesamt wird sich das Hygieneverhalten ändern. Das Händeschütteln und das Umarmen sind ja fast auf Null zurückgegangen, die Distanz zwischen den Menschen größer geworden.

Wie viele Beschäftigte in den Einrichtungen der Bremer Wohlfahrtsverbände sind gegen Corona geimpft?

Bei den Mitarbeitern wissen wir es nicht in Gänze. In der Pflege ist der Anteil sehr hoch, wahrscheinlich über 90 Prozent und bei den Bewohnern der Pflegeeinrichtungen bei fast 100 Prozent. Einige Bewohner dürfen aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden.

Die Corona-Maßnahmen kosten auch Geld. Wie finanzieren die Wohlfahrtsverbände die?

Bisher wurde ein Großteil dieser Maßnahmen durch die staatlichen Rettungsschirme finanziert. Die Hilfen laufen aber voraussichtlich Ende des Jahres aus. Wir sprechen mit den Kostenträgern, den Krankenkassen und Pflegekassen, darüber, auch mit den Bewohnern, die einen Eigenanteil zahlen müssen. Der Pflegeplatz wird teurer und damit der Eigenanteil der Bewohner höher.

Dann werden noch mehr Bewohner auf staatliche Hilfe angewiesen sein?

Wenn der Eigenanteil steigt und das private Vermögen das nicht hergibt, ist der Steuerzahler über die Sozialhilfe mit im Boot. Weit mehr als zwei Drittel der Bewohner in den Pflegeeinrichtungen sind darauf angewiesen.

Wie groß ist der Mangel an Pflegekräften?

Wir brauchen mehr Leute, aber es gibt nicht genug, die diese Arbeit machen wollen. Wir müssen für diese Berufe, für die Sozialarbeit und die Pflege werben, im positiven Sinne werben. Das haben wir leider in den vergangenen Jahren nicht oft genug getan. Die negativen Botschaften überwogen. Dann ist es für einen jungen Menschen nicht attraktiv, solch einen Beruf zu erlernen. Wer den Beruf aber wählt, tut dies ja, weil man zugewandt Menschen versorgen kann. Der Beruf hat ja viel Erfüllendes.

Die beschlossene Erhöhung der Gehälter in diesem Jahr macht den Pflegeberuf nicht attraktiver?

Nein, sie ist eine einmalige Anerkennung gewesen für herausragende Leistung. Wenn man den Beruf dauerhaft attraktiver gestalten will, muss neben der Vergütung, wo wir in Bremen auf einem guten Weg sind, auch die Arbeitsbedingungen ändern. Wir brauchen für die Arbeit mehr Köpfe und mehr Hände.

Wie kommen Sie aus dem Dilemma heraus: viele freie Stellen, aber wenig Bewerber?

Spitz auf Knopf bekommen wir unsere Stellenbesetzung noch hin, aber das ist immer ein Ritt auf der Rasierklinge. Wir haben unter den Wohlfahrtsverbänden auch schon Situationen erlebt, wo Stationen für einen bestimmten Zeitraum schließen mussten, weil nicht genügend Personal da war. Viele retten sich, indem sie Zeitarbeitsfirmen beschäftigen. Aber das ist viel teurer. Deren Fachkräfte sind zwar gut, aber nicht so sehr in die Abläufe und die Teams eingebunden.

Werben Sie Fachkräfte aus dem Ausland an?

Ja, das ist so und wird auch noch so bleiben. Wir als Caritas haben vor einigen Wochen philippinische Kräfte geholt. Das machen andere Träger von Pflegeeinrichtungen auch. Es gibt Kräfte aus Jordanien, aus Indien und aus Osteuropa. Wir reißen natürlich in deren Herkunftsländern Lücken. Das ist uns bewusst. Deshalb müssen wir dahin kommen, die Stellen mit Leuten aus der eigenen Bevölkerung zu besetzen.

Wenn endet der Mangel an Fachkräften?

In den nächsten zehn Jahren wird sich nichts ändern, die Lage wird sich wegen der demografischen Entwicklung noch verschärfen. Die deutsche Gesellschaft altert. Es wird mehr Pflegefälle geben und gleichzeitig weniger Beschäftigte, die in die Pflegekasse einzahlen.

Sie fordern eine Vollkasko-Pflegeversicherung analog zur gesetzlichen Krankenversicherung. Dann dürften die Arbeitskosten der Unternehmen aber steigen.

Das ist die Folge. Aber ich sehe keine Alternative.

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