Seit 1992 ist Fernando Guerroro, kurz Nando, teil des Eisen am Sielwall 9. Erst als Barkeeper, seit 2002 als Teil-Inhaber. Anlässlich des 33. Eisen-Geburtstages schaut er auf die Entwicklungen im Viertel und umzu. Foto: Schlie Seit 1992 ist Fernando Guerroro, kurz Nando, teil des Eisen am Sielwall 9. Erst als Barkeeper, seit 2002 als Teil-Inhaber. Anlässlich des 33. Eisen-Geburtstages schaut er auf die Entwicklungen im Viertel und umzu. Foto: Schlie
Kneipengeburtstag

Kein altes Eisen

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Seit 1992 steht das Eisen am Sielwall 9. Zum 33. Kneipengeburtstag Inhaber Fernando Guerrero im Interview

Seit 1992 steht das Eisen unerschütterlich am Sielwall 9. Fernando Guerrero ist seit der Eröffnung am 15. April Teil der Kneipe – erst als Barkeeper, jetzt als Teil-Inhaber. Anlässlich des 33. Kneipengeburtstages schaut Guerrero auf die Geschichte der Kneipe zurück und spricht über das Viertel und die Subkultur.

WESER REPORT: 33 Jahre Eisen – das ist ja schon eine lange Zeit. Wie hat das alles angefangen?

FERNANDO GUERRERO: Das Eisen hat, also die Räumlichkeiten haben ja eine bewegte Geschichte. Seit Jahrzehnten war hier schon eine Kneipe. Die letzte richtig legendäre Institution da drin war der Pferdestall. Rudi Carrell war unter anderem Stammgast und alle möglichen anderen Banausen. Und dann gab es halt in den 80ern einige eher unglückliche Gastroversuche hier.

Und im Frühjahr 1992 kam dann das Eisen ins Sielwall 9?

Genau am 15. April 1992. Das war das Eröffnungswochenende. Vorher haben dann ein paar Menschen rund um Bulti (Anm. der Redaktion: Michael Bulthaupt) aus dem Plattenladen Überschall Records, damals eine riesige Institution in Bremen, beschlossen, mit der Chefin des damals bestehenden Ladens gemeinsam etwas Neues zu machen. Und das war die Geburtsstunde des Eisen.

Jetzt sind Sie Inhaber des Eisens, das war aber nicht immer so.

1992 fragte Bulti mich, ob ich Lust hätte, im Eisen zu arbeiten. Ich arbeitete damals viel in der Gastro, um mein Studium zu finanzieren. Ursprünglich wollte ich Klimaforscher werden, aber das Herz hing schon immer an der Subkultur. Ich hatte Fantasien, was man mit so einem sozialen Raum alles bewegen könnte.

Als unsere Chefin 2002 aus Altersgründen aufhören wollte, war ich mitten in der Diplomarbeit, doch ein Kumpel und ich entschieden spontan, den Laden nicht sterben zu lassen. Wir versuchten es – und jetzt gibt es den Laden seit 33 Jahren. Was das in Menschenjahren bedeutet, möchte man sich gar nicht ausrechnen.

Was hat sich denn im Eisen verändert seit 1992?

Im Eisen hat sich, also jetzt mal explizit seit 2002 gesprochen, gar nicht so viel verändert. Auch weil wir schon von Anfang an einen klaren inhaltlichen und moralischen Kompass hatten, wie wir diesen Raum als sozialen Raum gestalten wollen. Sozusagen als emotionale Architekten mit einer gewissen Grundhaltung: antisexistisch und antirassistisch.

Wir wollten immer Menschen ermöglichen, irgendwie miteinander in Verbindung zu treten. Das geht natürlich über unsere emotionalen Standbeine Musik und Fußball. Mal veranstalten wir mehr DJ-Abende, mal mehr Konzerte, mal ist Werder erfolgreicher und alle in guter Laune, mal ist es eher eine Selbsthilfegruppe.

Damit sprecht ihr auch viele Generationen an, oder?

Genau, und die haben sich über die Jahre immer wieder überlappt und bestätigten meinen Anspruch, dass biologisches Alter kein trennender Faktor zwischen Menschen sein sollte. Wenn das Mindset passt, spielt das Alter keine Rolle – warum sollte sich ein 20-Jähriger nicht mit einer 50-Jährigen gut unterhalten können? Wir hatten das große Glück, dass sich dieser generationsübergreifende Austausch über Jahrzehnte hinweg so positiv entwickelt hat.

Heute sitzen teilweise schon „Eisenbabys“ am Tresen – Anfang 20 – denen man erzählen kann, dass man ihren Eltern damals um vier Uhr morgens gesagt hat: „Jetzt küsst euch endlich, ich will Feierabend machen.“ Und jetzt sitzen sie selbst an genau derselben Stelle – das ist schon berührend. Aber außerhalb des „Eisens“ sieht das anders aus.

Wie blicken Sie auf das Viertel und die Subkultur hier heute?

Neben den bekannten Themen wie Gentrifizierung und Ballermannisierung muss man auch sagen: Die Subkultur, die es hier seit den 70ern in vielen Ausprägungen gab, hat sich in den letzten 10–15 Jahren stark zurückgezogen. Früher war Subkultur fast schon Mainstream – ob Grunge, Hardcore-Punk oder später die Elektro-Kids –, alle vereinte eine gemeinsame Haltung: wie man miteinander umgeht und wie man den klassischen gesellschaftlichen Strukturen begegnet.

Es geht im Moment eher darum, die Flamme der Subkultur wie ein kleines Streichholz am Brennen zu halten – in der Hoffnung, dass irgendwann eine neue Generation nachwächst, die das wieder spannend findet und mit eigenen Ideen weiterträgt.

Aus Ihrer Sicht: Woran liegt das, dass Subkultur heute zum Randphänomen geworden ist?

Einerseits gab es früher innerhalb der verschiedenen Subkulturen klare Unterschiede, aber eben auch eine gemeinsame Haltung: gegen das System, gegen die Eltern. Das wurde von der Mehrheitsgesellschaft auch entsprechend als Feindbild wahrgenommen – die „böse Jugend“. Und genau das hat Kraft gegeben, sich aufzulehnen.

Heute ist der Kapitalismus so durchlässig und geschickt geworden, dass er alles aufsaugt – auch den Protest. Wirkliche Gegenbewegungen sind kaum noch möglich. Das Internet wirkt dabei wie ein Brandbeschleuniger: Was früher im Verborgenen als Subkultur wachsen konnte, mit Wurzeln und Fundament, wird heute in Sekunden zum TikTok-Trend – und genauso schnell wieder vergessen.

Gleichzeitig sind auch die Orte verschwunden, an denen Subkultur entstehen konnte. Früher musste man raus: in die AJZs, in Kneipen, auf die Straße. Heute läuft vieles vom Sofa aus. Man lernt sich über Tinder kennen, bleibt in digitalen Bubbles, ohne wirklich in Kontakt zu treten. So ist vieles, was Subkultur früher ausgemacht hat, ausgefranst – es fehlt an Räumen, an Reibung, an echten Begegnungen.

Welche Rolle hat dann noch Corona gespielt?

Das war sicherlich ein wesentlicher Faktor – das war für viele der Todesstoß. Eine ganze Generation hat diese entscheidenden Jahre zwischen 17 und 22 verpasst, in denen man zum ersten Mal wirklich rausgeht, Clubs entdeckt, Stammkneipen findet, sich freut, wenn der Barkeeper einen wiedererkennt. Diese Sozialisation ist komplett ausgefallen. Viele haben sich währenddessen andere Wege gesucht – und die auch nach der Pandemie beibehalten.

Die Frage wurde sicherlich schon oft gestellt: Was waren denn die schönsten Momente im Eisen?

Ich versuche, über all die Jahrzehnte hinweg wach hinter dem Tresen zu sein. Wach im Sinne von aufmerksam – nicht nur organisatorisch, sondern auch emotional. Wir Keeperinnen und Keeper sind soziale Lotsen durch die Nacht. Menschen kommen manchmal in Extremsituationen, vertrauen sich uns an. Sie wissen: Da ist jemand, der auf uns aufpasst, dass alles gut geht.

Ich versuche, die Stimmung zu spüren, zu lesen: Wie geht’s den Leuten? Wie interagieren sie? Was für Dynamiken entstehen da vorm Tresen? Und dann sind es oft gar nicht die großen Momente, sondern die ganz feinen, fast unsichtbaren: Wenn jemand müde und matt reinkommt, einfach nur auf ein Feierabendbier – und zwei Stunden später völlig verändert ist. Aufgetaut, ins Gespräch gekommen, vielleicht neue Freundinnen und Freunde kennengelernt. Menschen, die sich beim nächsten Mal wiedererkennen. Genau für solche Abende gibt es Orte wie das Eisen.

Der Job hat viele Facetten – und ehrlich gesagt, manche davon sind eher stumpf. Aber dann kommen diese besonderen Momente: Wenn mir jemand sagt, ohne das Eisen hätte ich meinen Partner oder meine Partnerin nie kennengelernt – unsere Kinder gäbe es sonst gar nicht. Oder wenn jemand nach Bremen kam, niemanden kannte, im Eisen gelandet ist, direkt Anschluss fand – und jetzt sagt: Ich will hier nie wieder weg.

Solche Geschichten geben meiner Arbeit Tiefe. Sinn. Und obwohl ich weiß, dass ich keine Rente kriege und sich viele in meinem Alter für mein Gehalt nicht mal die Schuhe anziehen würden – merke ich, dass viele von denen viel verbitterter wirken. Viel leerer. Ich dagegen bekomme so viel emotionalen Gewinn zurück. Und das ist etwas, das kann man mit Geld nicht aufwiegen.

War einer dieser Momente auch, wie das Eisen durch die Pandemie gekommen ist?

Es ist eines der schönsten Beispiele dafür, wie das Eisen als Kristallisationspunkt wirken kann. Zwei Freunde hätten kurz nach dem ersten Lockdown 2020 eigentlich wieder im Eisen aufgelegt – ein jährlicher Termin, auf den wir uns alle gefreut hatten. Doch der Laden war zu, die Zukunft völlig ungewiss.

Also hatten sie diese Schnapsidee: Wir machen das Ganze einfach auf Twitter. Sie bastelten eine kuratierte YouTube-Playlist mit 60 Songs, schickten sie rum und sagten: „Freitag, 21 Uhr, klicken wir gemeinsam auf Play – und unter dem Hashtag #EisenBleibt tun wir so, als säßen wir am Tresen und quatschten.“

Und das funktionierte. Es war wie ein Leuchtfeuer in den einsamen Wohnzimmern. Plötzlich waren wir wieder verbunden – nicht nur Stammgäste aus Bremen, sondern auch Menschen aus ganz Deutschland, die vorher noch nie vom Eisen gehört hatten. Und trotzdem sagten sie: „Keine Ahnung, was das für ein Laden ist, aber es fühlt sich verdammt richtig an.

Ich freu mich schon aufs nächste Mal.“ Teilweise trendete das Ganze sogar bis auf Platz 2 in Deutschland. Und die Veranstalter forderten dabei immer wieder auf, für die Crew zu spenden – was in dieser finanziell schwierigen Zeit unglaublich geholfen hat. Aber auch das zeigt: Wie stark so ein Ort – selbst digital – verbinden kann.

Was verlieren wir als Gesellschaft, wenn wir diese kleinen, unabhängigen Orte – wie Clubs, Bars, alternative Festivals – nicht mehr unterstützen?

Es geht gar nicht nur ums Eisen. Es geht um all die Orte, die Läden, Bands, DJs, Künstlerinnen und Künstler, die etwas tun, wofür sie wirklich brennen – jenseits aller Businesspläne. Und dieses Brennen ist spürbar. Es ist ein Geschenk, Menschen dabei zuzusehen, wie sie mit Leidenschaft etwas schaffen. Aber das alles steht auf sehr dünnem Eis. Es wird von viel weniger Menschen getragen, als man denkt. Und wenn es einmal weg ist, kommt es so schnell nicht wieder – vielleicht nie mehr in unserer Lebenszeit.

Diese Orte und Szenen haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich bin. Als ich mit 20 ins Viertel gezogen bin, wusste ich: Hier will ich leben. Das ist spannend, das fühlt sich lebendig an. Während Corona ging es ständig nur um die Wirtschaft. Ich hab mir gedacht: Wenn Gesellschaft ein Organismus ist, dann ist das die Muskulatur. Aber all das andere – Bildung, Kultur, Subkultur – das sind die Faszien. Und ohne Faszien hält nichts zusammen. Ohne sie funktioniert der Rest nicht.

Deshalb: Wertschätzt das. Überlegt euch gut, ob ihr aus Bequemlichkeit wieder zur Systemgastronomie geht oder 200 Euro fürs nächste Stadionkonzert zahlt – oder ob ihr nicht lieber die kleinen, besonderen Dinge unterstützt. Die kleinen Clubs, Discos, Festivals. Die, bei denen man spürt: Hier passiert noch etwas Echtes.

das Gespräch führte Philipp Behrbom

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