Holocaust-Überlebender Gábor Lengyel besuchte IGS Osterholz-Scharmbeck und sprach mit Schülerinnen und Schüler der Oberstufe. Foto: Fricke
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Gespräch wider das Vergessen

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Holocaust-Überlebender Gábor Lengyel sprach mit Schülerinnen und Schülern

Oberstufenschüler und –schülerinnen der 12. und 13. Jahrgänge der IGS (Integrierte Gesamtschule) Osterholz-Scharmbeck trafen anlässlich der Gedenktage zur Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau vor 78 Jahren einen Überlebenden des Holocaust, den 82-jährige Rabbiner Gábor Lengyel aus Hannover. In der Mehrzweckhalle versammelten sich rund 110 IGS-Schüler, die Fragen an den Referenten vorbereitet hatten. Das, was ein Zeitzeuge über den nationalsozialistischen Völkermord berichten könne, steht in keinem Lehrbuch, bemerkte Tanja König, Deutsch-Fachbereichsleiterin, die den Besuch des Rabbiners organisierte.

„Ich sehe mich nicht als Zeitzeuge sondern als Überlebender des Holocaust“, betonte Gábor Lengyel zu Beginn. „Als Kleinkind mit vier Jahren kann ich kein Zeitzeuge des Holocaust sein“, erklärte der relativ rüstige Rabbiner mit Kippa am Hinterkopf. Er war gerade mal drei Jahre alt, als 1944 seine Mutter von den Nazis deportiert wurde. Sie war auf dem Weg ins Konzentrationslager Dachau verstorben. Unter der Obhut eines älteren Bruders und einer Tante konnte sich der kleine Gábor in einem Versteck im Budapester Ghetto dem Zugriff der mörderischen NS-Schergen entziehen. Wie der Vater die Nazi-Herrschaft in Ungarn und den Holocaust überlebt hatte, habe er nie erfahren, denn sein Vater sprach nie darüber.

Bis zu seinem 16. Lebensjahr lebte der junge Gabor in Budapest. Nach dem Aufstand in Ungarn 1956 flüchtete er alleine nach Österreich und wanderte später nach Israel aus. „In einer orthodoxen jüdischen Familie lernte ich Hebräisch, absolvierte eine Ausbildung zum Feinmechaniker und wurde Soldat“. 1965 habe er ein Stipendium in Deutschland an der TU Braunschweig erhalten. Erst im Alter von 63 Jahren besuchte Lengyel ein Rabbiner-Seminar in Budapest und betrieb intensiv Religionsforschung. 1995 gründete er die Jüdische Gemeinde in Hannover und erhielt einen Lehrauftrag an der Leibniz-Universität. Als Schoa (nationalsozialistischer Völkermord) -Überlebender habe er sich intensiv mit der Geschichte befasst, erfuhren die IGS-Schülerinnen und Schüler.

„Wie haben Sie die schrecklichen Ereignisse als Kind ertragen“, erkundigte sich eine Schülerin. „Als Vierjähriger habe ich gar nicht verstanden, was damals geschah, ich habe die Eltern vermisst, wusste nicht wohin sie gehen würden“. Als Erwachsener dachte er oft darüber nach, wie sich der Holocaust entwickelte. Dass es Judenverfolgungen schon im frühen Mittelalter gab: „Die Nazis hatten die Vorlage, die sie industriell verwirklichten“. Auf die Frage: „Warum haben Sie ihren Vater nicht nach dem Holocaust gefragt“, erklärte Lengyel, dass sein Vater alle schrecklichen Ereignisse durch die Schoa verdrängt habe, „alle Fragen dazu blockte er strikt ab.“

„Haben Sie antisemitische Erfahrungen gemacht“, lautete eine andere Frage. Dazu erklärte der Rabbiner, dass er Menschen mit antisemitischem Gedankengut heute aus unterschiedlichen Blickwinkeln sehe: Mal seien es dumme Bemerkungen, mal dumme Sprüche mit tief antisemitischen Erscheinungen. Antisemitismus sei genau wie Fremdenfeindlichkeit ein Gesellschafts- oder Erziehungsproblem. Gabor Lengyel resümierte schließlich, dass eine faire Diskussion die Basis sei, andere Ideen, andere Meinungen und andere Menschen zu verstehen.“

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