Er begleitet Gunther von Hagens‘ Ausstellungen seit den Anfängen und weiß, dass man das Leben am besten feiern kann, wenn man sich mit dem Tod auseinandersetzt: Philosophie- und Ethikprofessor Franz Josef Wetz. Die Ausstellung ist bis zum 25. August im BLG-Forum zu erleben.Fotos: M. Meister Er begleitet Gunther von Hagens‘ Ausstellungen seit den Anfängen und weiß, dass man das Leben am besten feiern kann, wenn man sich mit dem Tod auseinandersetzt: Philosophie- und Ethikprofessor Franz Josef Wetz. Die Ausstellung ist bis zum 25. August im BLG-Forum zu erleben. Fotos: M. Meister
Interview

Das Dunkel des Lebens erhellen

Von
Ethikprofessor Franz Josef Wetz über Sinn und Wichtigkeit der Körperwelten-Ausstellung

Weser Report: Einen Ethikprofessor wie Sie mit ins Boot zu holen, war ja sehr geschickt von Gunther von Hagens…

Franz Josef Wetz: Ja, so um 2000 herum war die Debatte um die Körperwelten und der oft damit in Zusammenhang gebrachte Begriff der Menschenwürde intensiv und hart. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Die Säle waren voll, wir hatten Debatten mit Theologen und allen möglichen Menschen: Darf man das, darf man das nicht? Ich fand das ganz spannend, denn sowas gab es ja vorher nicht.
In den ersten Jahren musste man die Körperwelten immer verteidigen. Verletzte Menschenwürde, gestörte Totenruhe, Leichenfledderei – diese Anschuldigungen mussten wir immer abwehren. Wir kamen gar nicht dazu, zu sagen, was es eigentlich ist. Das ging erst so nach zehn Jahren, als der Frontenkrieg abgeklungen war.

Was sind denn nun die Körperwelten genau?

Einerseits sind es anatomische Informationen, die Laien über die Körperinnenseite ästhetisch-instruktiv aufklären: Wir sehen die einzelnen Organe und so weiter. Darüber hinaus möchte die Ausstellung auch praktisch inspirieren, einen wesentlichen Beitrag zur Intensivierung des bewussten Lebens leisten – indem wir den Sinn für die Gesundheit stärken. Man soll sich überlegen, wie man lebt und ob man nicht besser etwas ändern möchte.
Der Körper ist etwas sehr Komplexes, Bewundernswürdiges, zugleich aber auch etwas sehr Verletzliches, Fragiles. Dafür muss man eine gewisse Fürsorge entwickeln. Zudem werden die Möglichkeiten und Grenzen unseres Körpers aufgezeigt. Lebe ich zu schnell, zu langsam? Das kann sich etwa in einem zu hohen Blutdruck niederschlagen. Er ist nicht nur die Quelle sinnlicher Freuden, Wahrnehmungen. Er ist auch der Ursprungsort des Leids, das Schaltzentrum der Gedanken und Begegnungsort von Kontakten. Unser Leben ist in jeder Beziehung körperlich. Selbst Gedanken sind es, weil sie im Körper generiert werden.

Und jenseits des Körperlichen?

Eine andere Dimension ist die Frage nach der Bedeutung des Menschen. Ist er doch nur ein reines Naturwesen, das aus der Evolution irgendwann mal hervorgegangen ist, das für etwa 80 Jahre bleibt und dann verschwindet für alle Zeit oder hat er vielleicht doch eine höhere Bedeutung?
Diese Frage kann die Ausstellung nur aufwerfen, nicht beantworten. So ist sie deutungsoffen für unterschiedlichste Men­schen­bilder: Naturalisten können sich hier genau so wiederfinden wie streng gläubige Menschen. Anatomie bewegt sich im Grenzbereich von Leben und Tod. Man kann sie definieren als die Kunst, mit dem Licht des Todes das Dunkel des Lebens zu erhellen. Diese Begegnung von Leben und Tod rüttelt immer auf.

Was macht die Ausstellung aus?

Ebenso schön wie zerbrechlich: Der menschliche Körper.

Genau genommen kann man drei Dimensionen auseinanderhalten, in denen sich in der Ausstellung Leben und Tod begegnen: Einmal ganz elementar, dass an toten Körpern das Leben demonstriert wird. Das ist schon mal ein Paradox, denn es geht ja gar nicht um den Tod. Die Ausstellung ist kein Friedhof, in dem Trauersouveniere präsentiert werden. Sie ist eine Lebensausstellung, ein Fest des Lebens.
Zweitens tritt dieses als etwas sehr Komplexes hervor. Man kann ja den feingliedrigen Bau in allen Einzelheiten, wie der Körper aufgebaut ist, das ganze Gefäß- und Nervensystem beispielsweise, bewundern. Da wird einem klar, wie schnell das aus der Balance geraten kann. Also: Man erkennt, dass der Preis für diese bewundernswerte Komplexität dann doch eine sehr verwundbare Zerbrechlichkeit ist.
Drittens: Wenn man das alles bewusst erlebt, kann das den Rückschluss haben, dass man vielleicht künftig mehr auf den Körper mehr achtet. Stopfe beispielsweise nicht dauernd nur Chips und Gummibärchen in dich rein und rauche nicht so viel. Denn der Körper ist die Grundlage deines Lebens. Du pflegst deinen Neuwagen, aber mit deinem Körper gehst du nachlässig um. Also: Kurskorrekturen vornehmen, sich in seiner Lebensweise hinterfragen, darauf kommt es an. Man hat doch nur dieses eine Leben.

Warum hat sich das Interesse der Menschen innerhalb von 20 Jahren von fanatischer Empörung zu inzwischen positivem Interesse verändert?

Wir bilden ja Sehgewohnheiten. Und erst waren das ungewohnte Sinnesreize. Nun kann man sagen, die Ausstellung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Debatten wurden versachlicht, es wurde festgestellt, dass das alles doch kein Skandal ist, dass es schlimmere Dinge gibt. Dazu hat natürlich auch die Aufmachung der Ausstellung beigetragen: Sie ist sehr ästhetisch mit den schwarzen Wänden und der Ausleuchtung. Das gibt ihr eine Seriosität, einen gewissen Ernst und den Plastinaten eine würdige Bühne. Das ist der Effekt der Ausstellung: Dass sie uns nicht Gruseln lehrt, sondern dass die Menschen über die Plastinate sich selbst anschauen. Es findet quasi eine Selbstbetrachtung ohne Spiegel statt. Darin liegen auch Ehrfurcht und Ergriffenheit: Man schaut in einen fremden Körper und entdeckt den eigenen neu.

Welchen ethischen Kritikpunkten sehen Sie sich konfrontiert?

Es stand und steht oft im Raum, ob die Totenwürde verletzt wird. Nein! Es gilt ja auch nicht als Würdeverstoß, einen Körper im Grab verfaulen oder verbrennen zu lassen. Sie zu wahren geht nur dadurch, dass etwa ein Rückgrat als Rückgrat und nicht als Kleiderständer dargestellt wird – also warum soll die Laienanatomie ein Würdeverstoß sein? Aber worin liegt jetzt die Achtung vor dem toten Körper liegt?
Da nenne ich vier Parameter: 1. Die Freiwilligkeit der Körperspende, die definitiv gewährleistet ist.
2. Die Achtung, die vor dem typisch Menschlichen in der Ausstellung gewahrt wird – das geht nur dadurch, dass, wie hier, keine Entmenschlichung stattfindet.
3. Die Privatsphäre des Spenders gewahrt wird, indem die Präparate anonymisiert werden. Man kann nicht erkennen, wer sich dahinter verbirgt, selbst Angehörige vermögen das nicht.
4. Und das stärkste Argument, das für die Würde in der Ausstellung spricht: Das Besucherverhalten – das tatsächlich achtungsvoll und ruhig ist.

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