Freitag, 12 Uhr. Vor der Halle in Hemelingen reihen sich Menschen in eine Schlange. Mütter mit Kindern an der Hand, Jugendliche, ältere Männer und Frauen. Sie warten. „Bremer Tafel“ steht an der Fassade. Daneben die Abbildung einer Einkaufstüte, randvoll mit Lebensmitteln.
Die Helferinnen und Helfer wuchten Kisten auf die Paletten. Darin: Brot und Brötchen, Gemüse, Obst und Tulpen. Erika deutet auf die Menschen: „Wir haben hier täglich zwischen 250 und 280 Kunden“, sagt Erika Engler. Mit Kunden meint die 66-Jährige die, die nicht genug Geld haben, um im Supermarkt einzukaufen, und deshalb zur Tafel kommen.
265.000 Tonnen Lebensmittel gerettet
So wie ihnen geht es laut Tafel-Dachverband rund 1,6 Millionen in Deutschland. Pro Jahr rettet die Tafel nach eigenen Angaben um die 265.000 Tonnen Lebensmittel, die sie an Menschen mit zu wenig Geld verteilt. „Das sind alleinerziehende Mütter, Rentnerinnen, Berufstätige“, zählt Erika auf. Doch während die Nachfrage steigt, sinken die Lebensmittelspenden.
„Die disponieren anders und geben diese Rettertüten oder eine Ermäßigung kurz vorm Ablaufdatum raus. Das ist Ware, die uns fehlt. Wir hatten eine Zeit lang viele ukrainische Bürger, die in völliger Not waren und beim Jobcenter erzählt bekamen: ‚Geht mal zur Tafel, da kriegt ihr Lebensmittel.‘ Aber wir sind auch an unseren Leistungsgrenzen“, erzählt die Ladenleiterin.
Aufnahmestopp auch in Hemelingen
75.000 Menschen engagieren sich deutschlandweit bei der Tafel. Darunter Erikas Team – heute mit 15 Ehrenamtlichen und einigen Ein-Euro-Jobbern. Erikas Mann hilft auch bei der Tafel, durch ihn sei sie dazugekommen. „Er war schon Rentner und wollte noch was tun“, erzählt sie.
In der Corona-Zeit habe sie dann auch bei der Tafel angefangen. „Da war ja wirklich jede helfende Hand dringend nötig.“ Zuerst zweimal die Woche und seit drei Jahren als Ladenleitung.
„Ich bin hier die Knautschzone zwischen allen. Ich vermittle zwischen Kunden, Kasse, Vorstand, Büro, Mitarbeitern, Lager“, sagt Erika. In der Halle eilt sie von einem Raum zum nächsten. Ständig hält sie jemand auf. Wieder ruft jemand nach ihr.
Ein Drittel aller deutschen Tafeln musste laut Dachverband bereits Aufnahmestopps verhängen. So auch in Hemelingen: „Wir können jetzt nur noch einzelne Nachrücker unterbringen. Das Telefon bimmelt nonstop“, berichtet Erika.
„Das macht da drinnen warm.“
Sie setzt sich neben die Ausgabe auf einen der Gartenstühle. „Es ist gar nicht so sehr die körperliche Anstrengung, sondern die psychische. Ich muss alles im Blick behalten. Von allen Seiten rufen sie Erika, guck mal Erika, mach mal Erika.“ Im Hintergrund klappert ihr Team mit den Kisten. Sie zieht an ihrer Zigarette.
Die Kunden greifen an der Ausgabe in die fast leeren Kisten. Ein Helfer wischt den Boden. „Für mich persönlich ist es so, dass ich immer mit einem sehr guten Gefühl nach Hause gehe, auch wenn ich mega geschafft bin. Ich habe nicht so viel zum Spenden, aber ich kann ein paar Karma-Punkte sammeln“, sagt sie und lacht. „Das macht da drinnen warm.“ Sie deutet auf ihr Herz. „Und ich liebe Menschen. Ich wäre sonst nicht 26 Jahre Altenpflegerin gewesen.“
Viele ältere Kunden bei der Bremer Tafel
Und was ist, wenn es mal zu viel wird? „Dann gehe ich ins Büro und sage: ‚Hinsetzen, zuhören!‘ Und dann bricht das alles ungefiltert heraus. Der Zusammenhalt hier ist sehr familiär. Wir sind eine Gemeinschaft.“
Sie inhaliert den Tabak und setzt nach: „Aber ich habe auch zweimal mitschlottern müssen und mitgeheult, weil ich es einfach nicht mehr aushalten konnte.“
Sie schweigt, greift zu ihrer Tasse und nimmt einen Schluck Kaffee mit Milch. Ein Helfer im Gabelstapler rattert vorbei Richtung Kühlhaus.
„Wir hatten hier eine ältere Kundin, die sich in Grund und Boden geschämt hat. Und da habe ich gedacht: Wo leben wir eigentlich, dass unsere alten Herrschaften, die ihr Leben lang geschafft und aufgebaut haben, nicht in der Lage sind, sich von ihrer kleinen Rente ein würdevolles Lebensende zu gestalten.“
Erika zupft an ihrem blauen Seidentuch, das ihren Hals ziert. Auf ihrer roten Schürze hat sich der Dreck ihrer Schicht angesammelt. „Die ältere Kundin habe ich dann in den Arm genommen und durch den Laden begleitet.“ Es seien doch viele Ältere, erzählt sie, die an 20 Euro scheitern.
„Und das sind dann die, die mir zu Ostern auch noch eine Schokolade schenken als Dankeschön.“
30 Jahre Bremer Tafel
Am 15. Mai 1995 gründeten sozial engagierte Bürgerinnen und Bürger die Bremer Tafel. Aus Anlass des 30-jährigen Bestehens veranstaltet der Vorstand der Bremer Tafel einen Empfang mit geladenen Gästen. Gefeiert werden dabei insbesondere die vielen Freiwilligen, die sich dafür engagieren, große Mengen Lebensmittel zu retten und diese an armutsbetroffene Bürgerinnen und Bürger der Stadt auszugeben.