Weser Report: Die Frühjahrsbelebung am Arbeitsmarkt hat kaum stattgefunden. Die Arbeitslosenzahlen bewegen sich auf einem Zehnjahreshoch. Woran liegt das und wie sind die Aussichten für die kommenden Monate?
Joachim Ossmann: Wir haben eine Arbeitslosenzahl von ungefähr 45.500. Das ist ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Gegenüber dem Vormonat ist die Arbeitslosigkeit kaum zurückgegangen. Das ist für diese Jahreszeit ziemlich untypisch, weil wir üblicherweise einen Frühjahrsaufschwung haben. Mit diesem kleinen Rückgang von 0,2 Prozent kann man von einem Frühjahrsaufschwung wahrlich nicht reden. Die Unsicherheit der Weltwirtschaft hinterlässt ihre Spuren auf dem Arbeitsmarkt. Die exportabhängige Bremer Wirtschaft leidet darunter besonders stark.
Gibt es relevante Unterschiede zwischen der Entwicklung in der Region Bremen-Bremerhaven und dem Rest der Republik?
Wir bewegen uns in einem Geleitzug mit dem Rest von Deutschland. Den schwachen Frühjahrsaufschwung haben wir überall zu verzeichnen.
Auffällig sind in der Arbeitslosenstatistik für die Stadt Bremen der hohe Anteile an Ausländern mit 47 Prozent und dass 66 Prozent der Arbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung besitzen.
Das sind tatsächlich zwei Strukturmerkmale des hiesigen Arbeitsmarktes, die eine echte Herausforderung sind. Die Antwort auf das Problem der fehlenden Abschlüsse ist Qualifizierung, Qualifizierung und Qualifizierung, denn so viele Arbeitsplätze für Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung gibt es einfach nicht. Wir müssen schauen, dass wir das Qualifizierungsniveau erhöhen. Die Antwort auf die zweite Herausforderung ist erstmal Spracherwerb. Man sollte aber auch sehen, dass das die Menschen ohne deutschen Pass ein Potenzial für unseren Arbeitsmarkt darstellen.
Wie meinen Sie das?
Die eine Seite der Medaille bei Ausländern ist die hohe Arbeitslosigkeit mit 24,7 Prozent und der hohe Anteil an der Arbeitslosigkeit. Die andere Seite ist, dass die vielen ausländischen Beschäftigten und die ausländischen Azubis, die in den vergangenen Jahren zu uns gekommen und Beschäftigung aufgenommen haben, ein echter Gewinn für den Arbeitsmarkt sind. Seit 2015 ist die Zahl der deutschen Azubis um 1.700 gesunken und die Zahl der ausländischen Azubis um 1.300 gestiegen. Mit anderen Worten: Wenn wir die ausländischen Azubis nicht gehabt hätten, hätten wir ein noch größeres Problem am Ausbildungsmarkt.
Liegt das an der demographischen Entwicklung?
Ja, das ist zum Teil ein demographischer Effekt, zum Teil aber auch ein Interesse-Effekt, weil der Zug zum Abitur und zum Studium weiterhin sehr groß ist. Die duale Ausbildung hat nicht mehr den Stellenwert, den sie eigentlich haben müsste. Wir plädieren dafür, eine duale Berufsausbildung zu machen oder ein duales Studium einzuschlagen, weil das ein hervorragendes Fundament ist für die berufliche Weiterentwicklung.
Sie sprachen das Thema Qualifizierung an. Im Vergleich zum Vorjahr sind im Bezirk mehr als 1.000 Menschen weniger in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Woran liegt das?
Wir haben etwa 10.000 Menschen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Das sind 3,3 Prozent mehr als im Vormonat. Gerade bei der beruflichen Weiterbildung, die für uns das hochwertigste Instrument der Arbeitsmarktpolitik ist, haben wir uns um 6,5 gesteigert. Das ist etwas, wo wir allergrößten Wert drauf legen und wo wir keine finanziellen Probleme haben. Es ist das erklärte Ziel, bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nicht zu reduzieren, auch wenn sich die Haushaltslage der Bundesagentur für Arbeit durch die gestiegene Arbeitslosigkeit insgesamt verschlechtert hat.
Dennoch sind 1.044 Menschen weniger in Maßnahmen als vor einem Jahr.
Das stimmt. Für mich ist aber der Blick auf die berufliche Weiterbildung wichtig. Sie ist die Antwort auf das Mismatch zwischen den zwei Dritteln, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben und den mehr als 7.400 offenen Stellen, die es immer noch gibt. Was tatsächlich weniger abgerufen wird sind zum Beispiel Eingliederungsmaßnahmen wie Lohnkostenzuschüsse. Die hochwertigen Maßnahmen wurden nicht reduziert.
Viele Berufsbilder verändern sich stark, manche Berufe verschwinden ganz. Welche Wege gibt es für Betroffene, um wieder in Beschäftigung zu finden?
Das erste ist, dass wir einen Arbeitgeberservice haben, der einen sehr guten Draht zu allen Arbeitgebern in der Region hat. Der sorgt dafür, dass eine passende Stelle für die Arbeitslosen gefunden wird. Wenn das nicht funktioniert, gibt es Qualifizierungsmaßnahmen oder Eingliederungszuschüsse um Menschen zu helfen, die vielleicht nicht hundertprozentig zu einem Arbeitsplatz passen.
Das Schuljahr neigt sich dem Ende entgegen. Wie ist die Situation auf dem Ausbildungsmarkt?
Die Schlussbilanz ziehen wir erst am 30. September, deshalb sind wir noch relativ früh in unserem Berufsberatungsjahr. Trotzdem kann man zwei Kennzahlen nennen: Bezogen auf den Agenturbezirk sind es mit 4.453 immer noch mehr gemeldete Ausbildungsplätze als jugendliche Bewerber mit 4.314. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Bremen und Bremerhaven. In Bremen haben wir deutlich mehr gemeldete Stellen als Bewerber, in Bremerhaven ist es genau andersherum.