Carsten Sieling: Seit Juli ist er Bremer Bürgermeister. Foto: Schlie |
Im Interview spricht Carsten Sieling über Notquartiere in Bremen, über Finanzen, die Kritik am Freihandel und seine Richtlinienkompetenz. Bremen hat bei den Notunterkünften für Flüchtlinge jetzt freie Plätze, wie der Bürgermeister erklärt. Die werden über den Jahreswechsel aber auch benötigt.
Weser Report: Was ist für Sie in den ersten fünf Monaten die größte Herausforderung als Bürgermeister gewesen? Sind es die Flüchtlinge?
Carsten Sieling: Es ist eine große Zahl Menschen in kurzer Zeit zu uns gekommen. Das ist eine Herausforderung, mit der sich der Senat wöchentlich befasst. Wir haben in einer ziemlichen Kraftanstrengung ein Bauprogramm geschaffen, das gleichermaßen den Bremern zu Gute kommt, wie den Menschen, die neu zu uns kommen.
Beim Wohnungsbau kriselt es aber mit Ihrem Koalitionspartner, was die Frage nach den Flächen angeht.
Wir hatten Diskussionen über die Frage, welche Flächen wir für den Wohnungsbau nutzen können. Schon im Koalitionsvertrag hatten wir festgehalten, das wir da unterschiedlicher Meinung sind. Jetzt aber haben der Bausenator und der Wirtschaftssenator geliefert, mit Flächen wie der Rennbahn. Wenn die Zuwanderung nicht stärker wird, können wir bis 2019 vielleicht auf einen Wohnungsbau am Rande der Osterholzer Feldmark verzichten.
Sie wollten leer stehende Gebäude für die Unterbringung sicherstellen. Wird das jetzt getan?
Wir haben einige Standorte nutzen können, ohne die ganze Macht des Gesetzes heranziehen zu müssen. Da haben einige Eigentümer freiwillig mitgemacht, die im Übrigen ja auch bezahlt werden für ihre Gebäude. Auch deshalb haben wir jetzt Reserven für die Notunbringung in Bremen. Die brauchen wir aber auch über die Feiertage.
Im Frühsommer will ihre Partei einen neuen Landeschef bestimmen. Haben Sie einen Favoriten?
Die Partei diskutiert die Frage nach dem Landesvorsitz jetzt ausgiebig. Wir haben viele starke Persönlichkeiten. Mit Sascha Aulepp gibt es auch schon eine sehr interessante Bewerberin. Das zeigt mir, dass ich mir um meine Partei keine Sorgen machen muss.
Werden wir den neuen Länderfinanzausgleich in der Form bekommen, wie ihn sich die Bundesländer in ihrem Vorschlag wünschen?
Das neue Modell soll ab 2020 gelten. Die Bundesregierung verständigt sich jetzt untereinander. Ich bin optimistisch, dass unser Vorschlag angenommen wird, weil er immerhin von allen sechzehn Länderchefs gemeinsam beschlossen wurde.
Kritiker sagen, es sei nicht genug für Bremen herausgekommen, etwa bei einer Regelung für alten Schulden.
Natürlich gab es den großen Wunsch, dass wir eine Altschuldenregelung bekommen. Aber das ist wie ein Weihnachtsfest, bei dem sich die Kinder über immer mehr Geschenke freuen. Ich habe als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz die Interessen Bremens unter einen Hut bringen müssen mit den Interessen der anderen Bundesländer, der Nehmer- wie Geberländer. Am Ende ist, denke ich, für Bremen ein wirklich gutes Ergebnis herausgekommen.
Ihnen wird vorgeworfen, beim Thema Freihandelsabkommen mit Ihrer Kritik nicht nur anderer Meinung als der SPD-Chef zu sein, sondern auch die Interessen Bremens als Handelsstandort vernachlässigt zu haben.
Der gerade gefasste Beschluss der SPD zeigt, dass Sigmar Gabriel und ich beim Freihandelsabkommen nicht weit auseinander liegen. Der weltweite Handel muss zu fairen Regeln stattfinden. Dafür muss es öffentliche und keine privaten Schiedsgerichte geben. Die ungeregelte Globalisierung führt zu einem rücksichtslosen Verhalten. Es ist gut, wenn sich Staaten auf Regeln für den Handel untereinander verständigen.
Nun gibt es Umwälzungen in der Wirtschaft, etwa durch Verlagerung von Produktion Braucht Bremen nicht eine offensivere Wirtschaftspolitik?
Unsere Wirtschaftspolitik holt alles heraus, was herauszuholen ist. Da sieht man an der Entwicklung des Mercedes-Werkes und am Gewerbegebiet Hansalinie. Manche Entscheidungen, die in Konzernzentralen an anderen Standorten fallen, können wir nicht mitbestimmen. Wo wir aber etwas tun können, ergreifen wir auch jede Möglichkeit, wie der Neubeginn des Schiffbaus auf der Lloyd-Werft in Bremerhaven zeigt.
Vermissen Sie als Bürgermeister eigentlich die Richtlinienkompetenz, die Ihre Kollegen in anderen Bundesländern haben?
Ich kann nicht feststellen, dass andere Ministerpräsidenten durch ihre Richtlinienkompetenz besser dastehen, sie haben in ihren Ländern jedenfalls nicht weniger Probleme. Das Instrument wäre ohnehin nur in ganz wenigen Fällen einsetzbar. Ich baue auf die Kraft überzeugender Argumente und darauf, dass wir im Senat ein gutes Team sind. Dass der Senat ein Kollegialorgan ist, geht übrigens auf eine gute alte Bremer Tradition zurück.
Herr Sieling, was wünschen Sie sich politisch für 2016?
Die Menschen sollen füreinander einstehen. Ich wünsche mir, dass wir unsere Weltoffenheit behalten, gerade wenn eine so große Zahl an Menschen zu uns kommt. Dann geht es natürlich darum, eine stabile finanzielle Situation zu schaffen, um die Selbstständigkeit dauerhaft zu erhalten.
Und was wünschen Sie den Bremern für das neue Jahr?
Ich wünsche allen Bürgern Frieden in dieser unruhigen Zeit, und dass sie ihre persönlichen Pläne und Hoffnungen umsetzen können.
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