Handelskammer: Bremen hat dringenden Nachholbedarf

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Matthias Fonger zur Wirtschaft Foto: WR

„Nicht zufriedenstellend“ ist Bremens Abschneiden im Bundesvergleich, sagt Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Matthias Fonger. Im Interview stellt er fest: Investoren müssten willkommen geheißen und die Innenstadt zügig entwickelt werden. Auch sollten Flüchtlinge beruflich schnell integriert werden.

Weser Report:  War 2015 ein gutes Jahr für die Wirtschaft in Bremen?

Matthias Fonger: Konjunkturell war 2015 ein gutes  Jahr. Im ersten Halbjahr lag das Wachstum mit 2,1 Prozent über dem Bundesdurchschnitt, getragen von der Industrieproduktion und der Exportwirtschaft. Bremen hat dennoch Nachholbedarf. Das bremische Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt zwar immer noch 30 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Trotzdem hat Bremen unter allen Bundesländern die höchste Arbeitslosenrate.

Brauchen wir also eine andere Wirtschaftspolitik? Der Bürgermeister sagt, alles, was getan werden könne, werde getan.

Es gibt zweifellos Beispiele, wo es gut gelaufen ist, wie die Entwicklung des Mercedes-Werks einschließlich der Ansiedelung von Zulieferern oder das geplante EcoMat-Zentrum. Wenn unser Bundesland in der Summe aber  über viele Indikatoren hinweg schlechter abschneidet als der Bundestrend – und das ist gegenwärtig leider der Fall –, ist das nicht zufriedenstellend. Der Ansatz von Bürgermeister Sieling, Bremen als wachsende Stadt zu positionieren, ist richtig. Bremen muss aber privaten Investoren stärker das Signal geben, dass sie willkommen sind. Zu hohe behördliche Anforderungen – wie beispielsweise beim gescheiterten City-Center – müssen vermieden werden, gerade in einem Haushaltsnotlageland. Investitionen, das muss man deutlich sagen, sind auch die beste Fiskalpolitik für Bremen.

Ein wichtiger Punkt sind die Existenzgründungen. Aber haben wir auch genug Gründer in der Stadt?

Ja, Bremen hat mittlerweile eine hervorragende Wissenschaftslandschaft. Dadurch haben wir ein hohes Potenzial an jungen, kreativen Köpfen. Statistiken zeigen aber, dass viele Absolventen abwandern. Wir müssen daher alles dafür tun, dass Hochschulabgänger mit Potenzial bei uns am Standort bleiben. Eine Handelskammer-Studie zum Innovationsstandort Bremen hat vor kurzem deutlich gemacht, dass auch in Unternehmen die Bereiche Forschung und Entwicklung noch gestärkt werden können. Problematisch finde ich, wenn Existenzgründungsberatungen nicht stattfinden können, weil Fördermittel aufgrund von Haushaltssperren fehlen.

Da ist der Senat gefordert?

Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Politische Rahmenbedingungen spielen natürlich eine wichtige Rolle. Ein Beispiel: Das Hochschulreformgesetz ist schädlich für den Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Es soll angeblich mehr Transparenz in die Forschungsförderung bringen,  in Wirklichkeit werden Unternehmen durch Offenlegung ihrer Forschungsprojekte gezwungen, Geschäftsgeheimnisse preiszugeben. Da ist eine Korrektur dringend nötig.

Die Entwicklung der Innenstadt ist 2015 ja eher traurig gewesen.

Das City Center, ich habe das schon angerissen,  ist sicherlich auch wegen der langen Verfahrensdauer und der hohen behördlichen Auflagen gescheitert. Jetzt müssen wir für die Innenstadt ganz neue Ansätze finden. Dazu gehören auch Überlegungen wie die, an Stelle bestehender Parkhäuser neue Einzelhandelsflächen zu entwickeln, wenn dafür andere Parkflächen angeboten werden. Die Idee des Bauindustrieverbands einer großen Tiefgarage unter dem Wall ist ein interessanter Lösungsansatz. Wir brauchen einen großen Sprung, und dafür müssen wir intensiver über neue Konzepte nachdenken.

Aber hat die Innenstadt überhaupt noch eine Chance als großer Einkaufsstandort? Die Konkurrenz durch Einkaufszentren, die Kunden auch mit dem Auto erreichen können, ist sehr hoch.

Die Bremer Innenstadt ist städtebaulich attraktiver als viele andere. Viele Beispiele zeigen, dass man Innenstädte, die eine Grundattraktivität haben, gut entwickeln kann. Natürlich ist die Erreichbarkeit durch alle Verkehrsträger hierbei wichtig – auch durch das Auto. Konkurrenz sollte ja gerade der Impuls dafür sein, bei der Attraktivitätsentwicklung Gas zu geben.  

Sie haben die Handelskammern Bremen und Bremerhaven gerade fusioniert. Was könnte sich denn die Politik daran zum Vorbild nehmen?

Wir haben durch die Fusion gezeigt: Wenn man ein sinnvolles Paket schnürt, bei dem beide Seiten Vorteile haben, dann gelingt das auch. Diesen Gedanken halte ich bei der dringend überfälligen Reform der Verwaltungsstrukturen in unserem Bundesland für wichtig. Nicht einzelne Schritte diskutieren, sondern gemeinsam einen größeren Wurf entwickeln, der unterm Strich für alle Vorteile bringt. Dann lässt sich vieles realisieren, was anfangs schwierig erscheint. Unser Bundesland braucht solche Synergien – zwischen Bremen und Bremerhaven, aber auch im Zusammenspiel mit unserem Nachbarn Niedersachsen.

Zählt das neue Modell beim Länderfinanzausgleich zu den großen Durchbrüchen, die Sie im neuen Jahr erwarten?

Unter den großen Themen in Bremen wie „Wachsende Stadt“, die Stärkung der Innenstadt oder auch die Flüchtlingsthematik spielt der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern eine herausragende Rolle. Bremen muss alles dafür tun, dass es bis 2019 seine Sanierungsziele erfüllen kann. Ab 2020 müssen wir dauerhaft mit unseren Haushaltsmitteln auskommen.

Wie sieht die Handelskammer den Flüchtlingszuzug? Können wir die Menschen auf dem Arbeitsmarkt integrieren?

Ich bin grundsätzlich optimistisch. Es gibt kaum ein Land auf der Welt, das so gute Voraussetzungen für ein Gelingen hat, wie Deutschland. Vor allem junge Flüchtlinge müssen nun rasch einen Weg in das Berufsleben finden können. Hier haben wir als Kammer die Initiative „Flüchtlinge in Ausbildung“ ins Leben gerufen. Die Bremer und Bremerhavener Wirtschaft hat 740 zusätzliche Ausbildungs- und Praktikumsplätze für Flüchtlinge zugesagt. Wenn Flüchtlinge schnell beruflich integriert sind, ist das der richtige Weg für jeden einzelnen, es heißt aber auch, dass die  Sozialsysteme entlastet werden.

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