Ulrich Mäurer im Gespräch Foto: WR |
Der Staat muss seine Bürger schützen, stellt Ulrich Mäurer (SPD) im Interview fest. Der Innensenator warnt vor einem dramatischen Vertrauensverlust der Bürger in die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.
Weser Report: In der Aktuellen Stunde wurde das Thema Abschiebung kontrovers diskutiert. Was war Ihr Eindruck?
Ulrich Mäurer: Ich fand die Debatte über die Ereignisse in Köln zum Teil unterirdisch, um es mal ganz deutlich zu sagen. Es entzieht sich einem Verständnis, wie man die Vorfälle so fehlinterpretieren kann.
Die Lage ist ja sehr komplex, auch gerade weil täglich viele Flüchtlinge ankommen.
Das stimmt. Die öffentliche Stimmung gegenüber dem Thema hat sich in den vergangenen Wochen stark verändert. Die Bevölkerung scheint das Vertrauen in die Flüchtlingspolitik zu verlieren. Ende September waren noch 58 Prozent davon überzeugt, dass Deutschland die große Zahl an Flüchtlingen verkraften könne, jetzt sind es nur noch 38 Prozent. Die Lage verschärft sich weiter, da in den ersten beiden Wochen des Jahres über 53.000 Flüchtlinge registriert worden sind. Fakt ist: Trotz Winter und widrigen Wetterbedingungen sind weiterhin Tausende von Menschen zu uns unterwegs.
Können Sie die Ängste der Bevölkerung verstehen?
Ja. Die Menschen sind verunsichert. Sie sorgen sich, dass soziale Sicherheit, politische Stabilität und Innere Sicherheit verloren gehen könnten. Die Terroranschläge in Paris und Istanbul haben zur allgemeinen Verunsicherung beigetragen und verschärfen noch einmal die Stimmungslage. Die Ereignisse von Köln schließlich wirken wie ein Brandbeschleuniger. Sexuelle Gewalt gegen Frauen als Massendelikt – das sprengt den Rahmen des bisher Vorstellbaren. Die Botschaft gegenüber den Opfern darf nicht sein, dass der Staat seine Bürger nicht mehr schützen kann und dem Mob die Straße überlässt.
Die jüngsten Umfragen zeigen, dass die Zustimmung zur AfD steigt. Außerdem werden ganz radikale Kräfte gestärkt.
Für die antidemokratische Rechte sind die Ereignisse wie eine Steilvorlage, die neue Wähler zu ihnen treibt. Zugleich nimmt die Zahl der Übergriffe auf Notunterkünfte und Flüchtlinge zu. Ich wage mir zudem nicht vorzustellen, wie sich das Klima in unserer Gesellschaft verändern würde, wenn es in Deutschland einen Terroranschlag geben sollte. Diese Gefahr ist ja leider eine Realität, mit der wir schon seit längerem leben müssen.
Hätte man in Bremen Übergriffe wie in Köln verhindern können?
Die Vorkommnisse in Bremen in der Silvesternacht sind zum Glück eher unspektakulär. Es gab Raubdelikte und Taschendiebstähle, vereinzelt auch Körperverletzungen und an manchen Orten wilde Knallerei. Aber die Polizei war in Bremen mit massiven Kräften an den Brennpunkten im Einsatz. Dadurch konnten die uns bekannten kriminellen Jugendlichen und andere potenzielle Täter keinen größeren Schaden anrichten.
Ist wirklich ein kleiner, krimineller Kern verantwortlich?
In Bremen gibt es über 2000 Jugendliche, die allein ohne Eltern aus Syrien, Afghanistan und Gambia gekommen sind und die unauffällig hier leben. Es gibt aber auch eine Gruppe von rund 50 unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen, die für die Mehrzahl der Raubdelikte in Bremen bei den unter 18-Jährigen verantwortlich ist. Wir konnten dank einer speziellen Ermittlungsgruppe zahlreiche Taten aufklären. Elf Jugendliche befinden sich in Untersuchungs- und vier in Strafhaft. Aber: Sie abzuschieben ist nach geltendem Recht beinahe unmöglich. Außerdem hat diese Gruppe in der Regel ihre Identitäten verschleiert oder ihre Papiere vernichtet. Vor allem aber, haben die Heimatländer kaum Interesse daran, sie als Staatsbürger wieder zurückzunehmen.
Hilft es denn, wenn Abschiebungen nach Marokko und Algerien vereinfacht werden?
Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Bundesregierung Druck auf Marokko und Algerien ausüben will, damit diese Länder künftig stärker kooperieren. Ich habe die Ausländerbehörde aber angewiesen, schon jetzt alle Möglichkeiten zur Abschiebung aus dieser Gruppe auszuloten.
Entscheidend ist übrigens nicht, ob Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, denn aus diesen Ländern werden Flüchtlinge nur äußerst selten als Asylbewerber anerkannt. Priorität hat in Bremen aber weiterhin die freiwillige Ausreise von Menschen, die hier nicht bleiben können.
Aber müsste Bremen nicht stärker darauf achten, dass ausreisepflichtige auch Personen abgeschoben werden?
Dort, wo es rechtlich möglich ist, machen wir es bereits jetzt schon. Das Flüchtlingsproblem kann aber nicht durch Abschiebung gelöst werden. Das ist angesichts der großen Flüchtlingszahlen, der Abschiebehindernisse und der Lage in einigen Herkunftsländern eine Illusion. Wer allein auf die Karte Abschiebung setzt, gaukelt den Menschen falsche Lösungen vor.
Kommentar zum Thema: Noch einmal davongekommen
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