Weser Report: Das dringlichste wirtschaftliche Problem Bremens scheint die hohe Arbeitslosigkeit zu sein.
Harald Emigholz: Ja, das ist ein wichtiges Thema. Man muss aber auch fragen: Welche Menschen stehen hinter den Zahlen? Viele der arbeitslos Gemeldeten sind schlecht qualifiziert und haben weder einen Schul- noch einen Ausbildungsabschluss. Auf der anderen Seite können in Bremen die freien Arbeitsplätze nicht immer mit geeigneten Fachkräften besetzt werden. Beides sind also wichtige Handlungsfelder: die Qualifizierung und die Fachkräftesicherung.
Trifft die Gefahr, ohne Berufsausbildung arbeitslos zu werden, nicht gerade auch Jugendliche?
Ja, denn es gibt leider viele Jugendliche, die uns ohne Qualifikation verloren gehen. Regelmäßig münden gut 3.000 Schülerinnen und Schüler in die Bildungsgänge des „Übergangsbereichs“ ein, während rund 7.500 eine Berufsausbildung machen und 5.000 eine Hochschulreife anstreben. Und auch das muss man sehen: Nicht jeder Ausbildungswillige kann in seinem Traumjob einen Ausbildungsplatz finden. Wichtig ist, dass wir möglichst viele Jugendliche in eine Ausbildung bringen.
Wie können dann erst die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden?
Flüchtlinge sollten vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft werden, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Wir müssen aber auch sehen, dass Integration zehn bis 15 Jahre dauern kann. Zunächst muss es genügend Deutschkurse geben. Frühestens nach einem Jahr können die Teilnehmer dann arbeiten. Unsere Mitgliedsunternehmen haben 750 Plätze für Ausbildung Praktika angeboten, nur rund 120 davon konnten bisher besetzt werden. Wir hätten uns gewünscht, dass es mehr wären. Es ist zäher und schwieriger mit der Suche durch die Jugendberufsagenturen, als wir dachten.
Inwiefern?
Es gibt offenbar bei den Jugendberufsagenturen noch immer Schwierigkeiten, vor allem mit den Themen des Datenschutzes. Keine Frage, Datenschutz ist wichtig. Aber in diesem speziellen Fall, finde ich, sollte es auch mal flexibler gehen.
Was kann denn die Wirtschaftspolitik für mehr Arbeitsplätze tun?
Arbeitsplätze schafft man, in dem man investiert. Aber Investoren sind in Bremen nicht immer willkommen. Das höre ich regelmäßig von Unternehmern. Selbstverständlich ist es zu begrüßen, dass sich die Wirtschaftspolitik auf die großen vier Cluster unserer Region konzentriert – auf Luft- und Raumfahrt, Automotive, Windenergie sowie die Maritime Wirtschaft und Logistik. Es gibt aber beispielsweise auch den Einzelhandel mit seinen aktuellen Herausforderungen. Eine zentrale Frage ist, wie man politisch mit Investoren umgeht. Wenn ich mich an die Diskussion um den Kühne+Nagel-Neubau erinnere oder das Hochschulreformgesetz sehe, das gemeinsame Forschung von Unternehmen und Hochschulen erheblich erschwert, stehen da für mich Fragezeichen.
Wie hat sich denn Ihr Bild vom Bürgermeister entwickelt?
Man hat bei Bürgermeister Sieling schon den Eindruck, dass er zum Erfolg führen will, was er anpackt. Ich bin zum Beispiel sehr froh darüber, dass er das Gewerbegebiet am Bremer Kreuz zur Chefsache gemacht hat. Aus der parteipolitischen Neutralität der Kammer heraus würde ich sagen: Wir wollen Ihn an der Sache messen.
Beim Leitbild der Wachsenden Stadt bewegt sich aber nicht viel.
Dieser Punkt ist der Wirtschaft in unserer Stadt sehr wichtig. Mehr denn je wird sich auch Bremen künftig fragen müssen: Wo ist der Wille, wirklich einen neuen Stadtteil zu errichten, um ausreichend Wohnraum zu bekommen? Einige Flächen in Bremen, und nicht nur die Osterholzer Feldmark, scheinen in solchen Debatten fast mit einem Bannfluch belegt zu sein. Wir brauchen aber Wohnungsbau. Und das geht auch, denn Bremen ist unter den zehn größten deutschen Städten immer noch eine der am wenigsten dicht besiedelten. Das ist Fakt.
Nach der Fusion der Kammern vertreten Sie ja die Wirtschaft in Bremen und Bremerhaven. Gibt es eigentlich etwas, dass Bremer von der Seestadt lernen können?
Wir sollten in beiden Städten dringend aufhören, alte Klischees zu bedienen. Nach meiner Wahrnehmung arbeitet in Bremerhaven beispielsweise die Verwaltung schneller als in Bremen. Die Wirtschaftsförderung in Bremerhaven ist sehr rührig. Die Küstenautobahn A 20 wird insbesondere für Bremerhaven einen riesigen Entwicklungsschritt bringen. Die Stadt liegt dann neben der Nord-Süd-Achse auch an einer zentralen Verkehrsschnittstelle. Das wird den Standort erheblich voranbringen.
Kann man also mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan zufrieden sein?
Ja, das ist so. Alle für unsere Region wichtigen Projekte sind dort mit Priorität versehen. Es ist sehr positiv, dass auch der Wesertunnel im VEP steht und die frühere Debatte einer Mautfinanzierung der Vergangenheit angehört. Die Planer sagen, 2017 fangen sie an. Alle Pläne zur Entlastung des Verkehrs machen sich an diesem Tunnel fest.
Würden Sie dann eigentlich auch die Hochstraße abreißen?
Die Hochstraße ist als Bauwerk ein Wertgegenstand, den die Stadt hat. Und auch wenn sie optisch vielleicht nicht die schönste ist – sie wird für den Verkehr benötigt. Daran wird auch der Autobahnring um Bremen nichts ändern.
Mit der Entwicklung der Innenstadt sind Sie aber nicht zufrieden?
Nein, wir sehen hier erheblichen Handlungsbedarf. Wichtig wird vor allem sein, dass nach dem Aus für das geplante City-Center nicht hie und da mit kleineren Korrekturen gearbeitet wird. Unsere Innenstadt braucht jetzt ein umfassendes und mutiges Gesamtkonzept. Wir wollen uns als Handelskammer beispielsweise mit weiteren Partnern an eine Studie zum Parken unter dem Wall machen und prüfen, wie das Parken in der Innenstadt neu organisiert werden könnte.