Seit 2014 steigen die Eingangszahlen bei der Bremer Staatsanwaltschaft. Allein die Zahl der Fälle, in denen es Verdächtige gibt, ist von 2014 auf 2015 um zehn Prozent gestiegen. Auch die Verfahren, in denen gegen Unbekannt ermittelt wird, nehmen zu.
Für das laufende Jahr rechnet Janhenning Kuhn, leitender Oberstaatsanwaltschaft, mit einem erneuten Anstieg. Ende des Jahres könnten seiner Prognose nach fast 100.000 neue Fälle in seinem Haus eingegangen sein: 66.540 Fälle, in denen es Tatverdächtige gibt, und 32.108 Fälle gegen Unbekannt.
Staatsanwaltschaft verzeichnet steigende Fallzahlen
„Wir beziehen uns hier auf harte Fakten“, betont Kuhn. Und die machen ihm Sorgen. Denn: Bearbeitet werden die Fälle von zurzeit 45 Staatsanwälten und 14 sogenannten Amtsanwälten. Letztere sind gelernte Rechtspfleger mit Zusatzqualifikation und übernehmen bei der Staatsanwaltschaft kleinere Verfahren, etwa wegen Ladendiebstahls oder leichter Körperverletzung. Pro Amtsrichter sind im vergangenen Jahr 2.365 neue Fälle eingegangen.
Laut Kuhn kommt das Personal nicht mehr mit der Bearbeitung der Fälle hinterher. „Wir sind an der Spitze der Belastung“, warnt der Oberstaatsanwalt. Bereits Ende vergangenen Jahres habe er gegenüber seinem zuständigen Senator deutlich gemacht, dass die Staatsanwaltschaft angesichts der steigenden Verfahrenszahlen nicht mehr auskömmlich arbeiten kann.
Grund für hohe Verfahrenszahlen nicht ganz klar
Warum die Zahl der zur Anzeige gebrachten Fälle steigt, kann Kuhn nicht sagen. Das könne zum Beispiel mit der Zahl der Zuwanderer zusammenhängen. „Wo mehr Menschen leben, gibt es auch mehr Straftaten“, sagt er.
Zwar geht Kuhn davon aus, dass seine Staats- und Amtsanwälte künftig mehr Fälle abarbeiten als neue hinzukommen. Das liege aber in erster Linie an der hohen Zahl der Straftaten nach dem Aufenthalts-, Asylverfahrens und Freizügigkeitsgesetz. 3.341 dieser Taten sind 2015 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen, das sind 263,5 Prozent mehr als noch 2012.
11.409 Fälle blieben 2015 liegen
Diese Verfahren seien in der Regel „schnell und einfach zu erledigen“, sagt Kuhn. Das heißt: In der Regel werden sie zügig eingestellt. Der Aufwand sei für die Staatsanwaltschaft nur „das Dünne in der Suppe“.
Das „Dicke“, das sind die Fälle, die Staats- und Amtsanwälte vor sich herschieben: 11.409 waren es im Jahr 2015, für 2016 rechnet Kuhn mit 10.557 unbearbeiteten Fällen.
Die Folge: Die Verfahren dauern länger. Zurzeit erledigt die Bremer Staatsanwaltschaft gut 56 Prozent der Fälle noch im ersten Monat – auch weil mehr als die Hälfte der Verfahren eingestellt werden. Das passiere aber nicht, um die Fälle möglichst schnell loszuwerden – jedenfalls noch nicht. „Wenn wir Verfahren einstellen, weil wir uns der Sache entledigen wollen, ist das ein Alarmsignal“, sagt Kuhn.
Die meisten Fälle werden im ersten Monat abgearbeitet
18 Prozent der Fälle sind nach einem bis zwei Monaten abgearbeitet. Länger als eineinhalb Jahre liegt laut Statistik nur ein Prozent der Verfahren bei der Staatsanwaltschaft.
Kehrt sich das Verhältnis um, könnte das handfeste Konsequenzen haben. „Der Strafanspruch des Staates nimmt ab, je länger ein Verfahren dauert“, erklärt Kuhn. Das heißt: Ein Räuber, der unter Umständen Jahre auf seine Verhandlung wartet, kann von einer niedrigeren Strafe ausgehen als der Räuber, der für die gleiche Tat noch im selben Jahr verurteilt wird.
Beweisführung wird immer schwieriger
„Ihm wird quasi gutgeschrieben, dass er so lange warten musste“, erklärt Frank Passade, Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft. Ein später Prozess kann aber auch noch andere Folgen haben. „Die Beweisführung wird immer schwieriger, zum Beispiel, weil sich Zeugen Jahre später nicht mehr genau an die Tat erinnern.“
Kuhn fordert deshalb mehr Personal. Ein zusätzlicher Amtsanwalt und zwei bis drei neue Staatsanwälte, das würde ihm helfen, sagt der Oberstaatsanwalt.
Staatsanwaltschaft bringt Bremen auch Geld ein
Die Strafverfolgungsbehörde koste nicht nur Geld, sondern bringe Bremen auch Geld ein – das betont Kuhn ebenfalls. Seit einigen Jahren konzentrieren sich speziell geschulte Mitarbeiter auf die so genannte Gewinnabschöpfung. Dabei geht es darum, dass Straftäter, die durch ihre Tat einen ungerechtfertigten Vermögensvorteil erlangt haben, diesen zurückgeben müssen.
Das kann ein Drogendealer sein, der sich mit seinen illegalen Geschäften einen Sportwagen finanziert, aber auch ein Unternehmer, der sich mithilfe von Urkundenfälschung davor drücken wollte, von ihm exportierte Waren wie gefordert an ihrem Material behandeln zu lassen. Drei Millionen Euro muss er deshalb jetzt zahlen – an den Bremer Fiskus.
Abnahme des „Gewinns“ schmerzt Täter
„Wichtig ist das Signal: Das Schlimmste, was passieren kann, ist eben nicht die Freiheitsstrafe auf Bewährung“, betont Kuhn. Die Abnahme ihres „Gewinns“ schmerze die Täter häufig mehr.
So hoch sind die Summen selten, die die Staatsanwaltschaft eintreiben lassen. Im Rahmen des sogenannten „Verfalls“ kommen sonst eher zwischen 500.000 und 650.000 Euro im Jahr zusammen. Seit sich die Staatsanwaltschaft auf dieses Verfahren besonders konzentriert, sind die Summen aber deutlich gestiegen. Vorher pendelten sie bei rund 200.000 Euro.
Noch lukrativer für den Bremer Haushalt können Bußgelder gegen Unternehmen werden. Aufsehen erregt hatte Ende 2014 der Bußgeldbescheid gegen die Bremer Rheinmetall-Tochter Rheinmetall Defence Electronics GmbH. 37 Millionen Euro muss das Unternehmen zahlen, weil bei Rüstungsgeschäften mit Griechenland Schmiergelder geflossen sein sollen.
Justiz-Sprecher macht Hoffnung
Jörg Lockfeldt, Sprecher beim Senator für Justiz und Verfassun,g macht der Bremer Staatsanwaltschaft Hoffnung. Im Integrationskonzept, das der Senat im Januar beschlossen hat, seien auch neun Millionen Euro für Sicherheitsbelange vorgesehen.
Davon sollen laut Lockfeldt 22 neue Stellen bei der Justiz geschaffen werden. Wie viele davon auf die Staatsanwaltschaft entfallen, konnte Lockfeldt noch nicht sicher sagen.
„Es werden mehr als zwei sein.“ Zum Teil liefen die Ausschreibungen dafür schon. „Vor der Sommerpause sollen die Weichen gestellt werden“, kündigte er an.