Den roten Faden sucht man an der Kornstraße vergeblich: Eigentlich gibt es fast alles – und sogar einiges, was Einkaufsstraßen sonst nicht oder nicht mehr zu bieten haben. Je nachdem, mit wem man spricht, befindet sich die Straße gerade auf dem absteigenden Ast oder im Aufwind.
Wer die Tour an der Friedrich-Ebert-Straße startet, ahnt zunächst einmal nicht, dass auf den nächsten Kilometern tatsächlich ein ganzes Füllhorn an Geschäften den Weg säumen wird. Aus einem Geschäft für Haarprodukte starren Passanten ausdruckslose, aber perückte Plastikköpfe an.
Gleich zwei Videotheken an einer Straße
Genauso wenig wie im Tattoo-Studio wenige Meter weiter ist dort an diesem Vormittag etwas los. Auch die Videothek öffnet erst am Nachmittag. Obwohl heute die meisten ihre Filme online schauen, haben sich an der Kornstraße gleich zwei Filmverleiher gehalten.
Raumausstatterin Katja Becker hingegen steht wenige Meter weiter schon seit 8 Uhr morgens im Geschäft. Vor dreieinhalb Jahren hat sie den Laden mit einer Freundin übernommen. „Nu maak di dat man erstmal en beten komoodig“, auf Hochdeutsch: Jetzt mach es dir erst einmal ein bisschen gemütlich, lautet ihr Wahlspruch.
Zwischen Bahn- und Buslinie
„Wir sitzen hier genau zwischen Bahn und Buslinie“, sagt sie und ist eigentlich ganz froh, dass es dadurch etwas ruhiger vor der Ladentür ist. Parkplatzprobleme gebe es nie und weil Autofahrer von der Friedrich-Ebert-Straße aus nicht in die Kornstraße fahren dürfen, halte sich der Straßenverkehr im ersten Kornstraßenviertel ohnehin in Grenzen.
Der Antikwarenladen nebenan öffnet nur nach Vereinbarung. Aber auch das Schaufenster hat schon einiges zu bieten, unter anderem eine alte Barklingel, mit der sich eine Lokalrunde bestellen lässt. Die passende Rechenmaschine von anno dazumal steht praktischerweise gleich darunter.
„Die Geschäfte schwinden“
Je weiter man die Kornstraße entlang spaziert, desto dichter werden die Geschäfte. Floristin Ina Gräser lebt und arbeitet schon seit 30 Jahren an der Kornstraße, direkt gegenüber des Friedhofs Buntentor.
„Die Geschäfte schwinden“, meint sie. Viele attraktive Läden seien geschlossen worden. In ihrer Nachbarschaft wird aber gebaut: Dort entsteht ein „energieeffizientes Stadthaus“ mit acht Wohnungen und einem Café.
An der Ecke zur Möckernstraße sieht es seit vielen Jahren schon gleich aus. Aneinander zugewandt finden Neustädter dort sowohl Fisch- als auch Fleischfachgeschäft. Thomas Schnelle betreibt seinen Laden seit 17 Jahren mit seiner Mutter.
Ab 11 Uhr gibt es Backfisch
„Hier gab es schon immer ein Fischgeschäft“, sagt Schnelle. „Auch vorher schon.“ Ab 11 Uhr werden die Backfisch-Käufer auf der Matte stehen. Das ist jeden Mittag so. Urlaub gönnt der Koch sich im Januar. Zwischen den Feiertagen wird kaum Fisch gefangen, deshalb sind die Preise dafür im Januar so hoch, dass er dann den Laden dicht macht.
Gegenüber stehen gleich drei Damen hinter der Fleischertheke. Seit über 20 Jahren betreibt Manuela Düsseldorf das Geschäft mit ihrem Mann. Hausgemachter Fleischsalat – gleich in drei Varianten – ist einer der Verkaufsschlager.
Stammkunden bekommen Lieferung nach Hause
Gerade ältere Leute, die nicht mehr selbst kochen können, nutzen das Mittagstisch-Angebot. Einige Stammkunden, die nicht mehr selbst kommen können, bekommen ihr Essen sogar nach Hause gebracht. „Wir bemühen uns, alle mit Namen zu kennen“, sagt Manuela Düsseldorf.
Bei jüngeren Kunden beobachtet sie ein Umdenken. „Es gibt immer mehr Leute, die bewusst sagen, sie essen lieber ein Stück Fleisch weniger, aber dafür ein gutes.“ Die Geschäftsfrau blickt optimistisch in die Zukunft der Kornstraße. „Gegenüber eröffnet gerade ein Möbelladen“, sagt sie und zeigt nach draußen.
„Wir wollten nicht in die Innenstadt“
Romina Teske verkauft an der Kornstraße Damenbekleidung. „Wir wollten bewusst nicht in die Innenstadt“, sagt sie und bereut die Entscheidung nicht. In der Neustadt könnte doch auch eine Ecke mit kleinen Läden entstehen, ähnlich wie im Viertel, sagt sie.
Längst nicht alle Ladenlokale an der Kornstraße sind vermietet, einige befinden sich sogar in einem schlimmen Zustand. Aber immer, wenn man gerade glaubt, es käme nicht mehr viel, geht es doch noch weiter.
Autowerkstatt im Wohngebiet
Hinterm Kirchweg verändert sich die Kornstraße. Sogar Autohäuser finden sich dort. Werkstatt im Wohngebiet? „Früher war das ganz normal“, sagt Peter Kohne, dessen Betrieb schon vor 100 Jahren an der Kornstraße ansässig war. Und für seine Kunden sei es doch praktisch, dass sie beim Werkstattbesuch nicht zuerst ins Gewerbegebiet fahren müssten.
Wer es bis nach Huckelriede schafft, erlebt dort noch einen Wandel: Plötzlich säumen gastronomische Betriebe die Straße. Kein Wunder: Am Bahnhof Huckelriede ist immer einiges los – und die Passanten haben Hunger.