Es ist brechend voll, Menschenmassen bevölkern das Lokal. Man tanzt und die Stimmung ist alkoholselig, zumal das Glas Wein für nur 20 Pfennig ausgeschenkt wird, wenn auch wenig stilecht aus Kaffeekannen. Ein Mann mit kahlem Kopf betritt die Bühne, um eine Rede zu halten. Nach Auskunft meines Tischnachbarn handelt es sich um Oberbürgermeister Dr. Müller. Er schildert die Notlage der deutschen Weinbauern und bewertet die Delmenhorster Patenschaft für den Winzerort Marienthal an der Aar als probates Mittel zur Linderung der dortigen Not. Schließlich erhebt er sein Glas mit Marienthaler Spätburgunder und bringt einen Toast auf das Wohl der Patengemeinde aus.
Das Glas Wein kostet nur 20 Pfennig
Die Stimmungskanone Harry Horst vom Sender Hamburg, der Bremer Sänger Kurt Harder und die Sängergilde Delmenhorst unterhalten dann mit Rhein- und Weinliedern. NS-Parteidienststellen, Reichsnährstand, und der Deutsche Gemeindetag hielten Patenschaften für notleidende Weinbauregionen für ein geeignetes Instrument, um den Weinkonsum zu steigern.
Die reichsweite Ausrichtung einer Weinwoche unter dem Motto „Fest der deutschen Traube und des Weines“ mit Werbung auf Veranstaltungen und in den Medien sollte dabei die Effizienz übernommener Patenschaften noch steigern und den Weinverbrauch nach oben treiben. Ziel war es, dem Wein seinen Charakter als Genussmittel zu nehmen und ihm den Ruf eines „Volksgetränkes“ zu vermitteln.
Delmenhorst wird Patenstadt von Marienthal
Delmenhorst wurde Patenstadt von Marienthal. Zur Organisation fand am 8. Oktober 1935 ein Gespräch bei Bürgermeister Dr. Anacker statt, an dem Gastwirte und Weinhändler teilnahmen. Der Absatz wurde auf 1500 Liter geschätzt. Hiervon sollten die Gastwirte 1000 Liter und Kolonialwarenhändler und Drogisten 500 Liter übernehmen. Geordert wurde Rotwein zum Preis von 650 RM pro 1000 Liter. Die in Fässer abgefüllte Lieferung wurde hier vor Ort auf Flaschen gezogen und verteilt.