Delme Report: Frau Spiecker, als Referentin für nachhaltige Siedlungsentwicklung haben Sie sich vielfach erfolgreich für den Erhalt der Natur in der Stadt eingesetzt. Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin?
Margitta Spiecker: Wenn sie etwas zu sagen hat, dass sie dann gehört wird. Abgesehen davon, hätte ich mir nie träumen lassen, so eine kompetente Nachfolgerin zu bekommen, die in der Lage ist, sich sofort fachlich versiert einzubringen.
Dr. Yvonne Ingenbleek: Was die baurechtlichen Grundlagen angeht, bin ich durch mein Mitwirken in der Delmenhorster Bürgerinitiative gegen die Bebauung im Außenbereich mittlerweile sehr fit. Zurzeit finde ich mich auch in andere Stadtentwicklungsbereiche ein.
Für welche Bereiche hat sich der Naturschutzbund im laufenden Jahr besonders engagiert?
Margitta Spiecker: In das Pultern-Areal haben wir sehr viel Kraft investiert. Der Landschaftsökologe Dr. Klaus Handke hat dort eine biologische Bestandsaufnahme über die Artenvielfalt zu Wasser und zu Land gemacht und ein Gutachten erstellt. Dann haben wir gegen eine dortige Gewerbeansiedlung demonstriert und waren mit den politischen Vertretern vor Ort. Das Pultern-Gebiet wird uns auch 2017 noch beschäftigen, genau wie das Thema B212neu. Nachdem das Bundesverkehrsministerium die Priorität der B212neu im Bundesverkehrswegeplan wieder hochgestuft hat, haben wir ein neues Gutachten in Auftrag gegeben. Das war auch finanziell ein großer Brocken für den NABU.
Vor der Kommunalwahl haben Sie zusammen mit der Bürgerinitiative gegen die Bebauung im Außenbereich eine Umfrage unter den Parteien und Gruppen gemacht. Dabei haben Sie viele Zugeständnisse erhalten. Muss man darum jetzt bangen, wenn bundesweit das Baurecht gelockert wird?
Margitta Spiecker: Ja, denn das neue Baurecht würde vollkommen konträr zu dem stehen, was wir wollen.
Dr. Yvonne Ingenbleek: Nämlich die Flächen im Außenbereich schützen, die Arrondierung am Stadtrand so klein wie möglich halten und den innerstädtischen Bereich fördern. Wir brauchen in Delmenhorst eine nachhaltige Siedlungsentwicklung mit Blick auf die künftigen Generationen.
Was steht für 2017 auf ihrer Agenda?
Dr. Yvonne Ingenbleek: Bei dem B-Plan für den Großen Tannenweg/Ecke Neuenbrücker Weg müssen wir hinsichtlich der Arrondierung, der Flächenabrundung, genau hinschauen, weil das Areal an ein Landschaftsschutzgebiet grenzt. Auch müssen wir gucken, wie die Ausgleichsplanungen aussehen. In der Diskussion wird außerdem die geplante Bebauung des Gebiets an der Langenwischstraße bleiben. Auch dort müssen wir schauen, wie die Lebensqualität für die Menschen die dort wohnen, erhalten bleibt.
Welche Alternativen gegen das Bauen auf der grünen Wiese schlagen Sie vor?
Dr. Yvonne Ingenbleek: Ganz klar eine doppelte Innenentwicklung, sowohl aus der Bausicht als auch hinsichtlich der Lebensqualität durch Grünzüge, freie Plätze und Straßenbäume. Wir haben Flächen im Innenbereich der Stadt, die entwickelt werden können. Das gilt nicht nur für große, bereits versiegelte Flächen wie Delmod und Dumbäketal, sondern auch kleinere Baulücken und sanierungsbedürftige Einzelhäuser. So baut man eine Stadt um. Wenn wir immer wieder in die Außenbereiche gehen, dann gibt es keinen Grund, den Innenbereich zu entwickeln. Es gibt 750 Baulücken im Kataster, aber niemand, der sie vermarktet, niemand der Angebot und Nachfrage zusammenbringt.
Was wäre in diesem Fall optimal?
Dr. Yvonne Ingenbleek: Wenn man es seitens der Wirtschaftsförderung koordinieren und fördern würde. Nicht alle privaten Eigentümer wollen Grundstücke brach liegen lassen. Und es gibt nachweislich sowohl junge Familien als auch Senioren, die aufgrund der guten Anbindungen, Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten sehr gerne im innerstädtischen Bereich wohnen möchten. Das Argument, dass junge Familien grundsätzlich auf die grüne Wiese möchten, ist komplett falsch. Das wird mittlerweile sogar durch Studien belegt. Es ist nur einfacher. Mit einer nachhaltigen Stadtentwicklung auch unter Berücksichtigung des demografischen Wandels hat das nichts zu tun. Aber es muss sich jemand darum kümmern, es muss einen Ansprechpartner geben.
Was ist mit dem Integrierten Stadtentwicklungskonzept, ISEK, das ganz deutlich die Entwicklung des Innenbereiches bevorzugt?
Dr. Yvonne Ingenbleek: Für die meisten Entscheidungsträger, ist es einfacher, die letzte Priorität, nämlich die Bebauung des Außenbereichs vorauzustellen, weil ISEK nur ein Gutachten ist, an das man sich nicht zwangsläufig halten muss. Zum Glück gibt es in Delmenhorst noch einige politische Akteure, die das genauso sehen wie wir.
Was würden Sie sich von den politischen Entscheidungsträgern wünschen?
Dr. Yvonne Ingenbleek: Dass sie mehr Wert auf unsere Expertise legen, bevor sie Beschlüsse fassen. Sie sollten zudem das vorhandene Potential erstmal bearbeiten, bevor neue Gebiete vorgelegt werden. Beispiele und Projekte aus anderen Städten gibt es viele.
Was sind das für Projekte?
Dr. Yvonne Ingenbleek: Bei dem Projekt „Jung kauft alt“ werden beispielsweise junge Familien unterstützt, die alte Häuser kaufen und sanieren. Das Projekt „Wohnen für Hilfe“ bringt Senioren und junge Menschen zusammen. Dabei lässt man zum Beispiel einen Studenten kostenlos oder für eine geringe Miete bei sich wohnen und dieser sorgt im Gegenzug für die Gartenarbeit oder erledigt die Einkäufe. Oder wenn Senioren den Wunsch haben, in eine kleinere Wohnung zu ziehen, dann gibt es eine Koordinierungsstelle, die das Angebot und die Nachfrage zusammenbringt, beim Hausverkauf und bei der Haushaltsauflösung hilft.
Wie sieht es Ihrer Ansicht nach im Bereich der Gewerbeflächen aus?
Dr. Yvonne Ingenbleek: Es gibt noch ausreichend ausgewiesene Gewerbeflächen in der Stadt. Leider wird das Gewerbelückenkataster nicht offen gelegt. Mich würde auch interessieren, wie aktuell das Kataster überhaupt ist.