Sie befürworten, dass die Betreiber sozialer Netzwerke künftig bestraft werden sollen, wenn sie Hasskomentare nicht sofort löschen. Warum?
In den letzten Jahren mussten wir leider feststellen, dass die sogenannten sozialen Netzwerke als eine Infrastruktur genutzt werden, um Hass, Fremdenfeindlichkeit, Hetze und Rassismus in unserer Gesellschaft zu verbreiten.
Trotz zahlreicher Appelle aus Politik und Gesellschaft, hier gegenzusteuern, haben Facebook und andere Anbieter gegen diese Entwicklung wenig unternommen. Erst Anfang der Woche hat ein Monitoring von Jugendschutz.net gezeigt, dass Facebook nur 39 Prozent der von den Nutzern gemeldeten strafbaren Inhalte löscht oder sperrt. Das sind noch einmal sieben Prozentpunkte weniger als im Jahr zuvor.
Bei Twitter führte nur eine von hundert Nutzermeldungen zur Löschung. Der Rechtsstaat kann aber nicht hinnehmen, dass Hass, Hetze und Rassismus in den sozialen Medien eine Plattform finden. Dies gefährdet den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Es kann nicht sein, dass Unternehmen mit ihren sozialen Netzwerken enorme Gewinne einfahren, sich zugleich aber bei der Bekämpfung von Hasskommentaren aus der Verantwortung stehlen. Eine Geldbuße von bis zu 50 Millionen Euro ist hier der richtige Weg, um sicherzustellen, dass strafbare Inhalte zeitnah und vollständig gelöscht werden.
Täter ist aber doch derjenige, der den Post verfasst. Müsste es nicht eigentlich darum gehen, ihn zu ermitteln und zu bestrafen?
Erstes Ziel muss es ganz klar sein, den- oder diejenige zu ermitteln und zu bestrafen, der mit Hasskriminalität auffällig wird. Genau aus diesem Grund ist der Gesetzentwurf des Bundesjustizministers zur Bekämpfung von Hasskommentaren ja meiner Ansicht nach ungenügend.
Er nimmt die Betreiber sozialer Netzwerke nicht in die Pflicht, die Strafverfolgungsbehörden über strafbare Inhalte und deren Urheber zu informieren. Das muss geändert werden. Die Erfahrung zeigt, dass die Anonymität des Netzes andernfalls zur Begehung von Straftaten genutzt wird.
Im März ist in Blumenthal ein Internetnutzer verurteilt worden – unter anderem deshalb, weil er Flüchtlinge verunglimpft hat. Wie oft gelingt es der Bremer Justiz, Hasskommentatoren wie ihn zu verurteilen?
Bei Verurteilungen wegen Hasskommentaren in den sozialen Netzwerken handelt es sich in der Tat noch um Einzelfälle. Dabei prüft und verfolgt die Staatsanwaltschaft aber alle Anzeigen, die bei ihr eingehen.
Anscheinend gibt es hier ein Gefälle zwischen den Verurteilungen wegen strafbarer Inhalte in sozialen Netzwerken und der realen Problemlage. Hier zeigt sich meiner Ansicht nach ganz deutlich, dass die notwendige Bekämpfung von Hasskommentaren im Internet und die hierfür zur Verfügung stehenden Werkzeuge noch nicht zusammenpassen.
Daher nochmals: Wer eine effektive Strafverfolgung gegen Hass, Fremdenfeindlichkeit, Hetze und Rassismus im Netz fordert, darf auf eine Anzeigepflicht der sozialen Netze gegenüber den Strafverfolgungsbehörden nicht verzichten. Hier greift der Gesetzentwurf des Bundesjustizministers zu kurz. Er belässt es bei einer bloßen Pflicht zur Löschung strafbarer Inhalte.
Sie kritisieren, der Gesetzentwurf von Heiko Maas ermögliche weiterhin, die Anleitung zum Bau einer Bombe im Internet zu veröffentlichen. Nur Kommentare, die einen damit verbundenen Terroranschlag begrüßen, müssten gelöscht werden. Wer soll denn entscheiden, ob es sich bei einem Post um die Darstellung wissenschaftlicher Fakten oder den Aufruf zu einem Anschlag handelt?
Dies ist in der Tat eine interessante Frage. Und sie betrifft nicht nur wissenschaftliche oder technische Aufzeichnungen. Mit der Löschung von Beiträgen in den sozialen Netzwerken begeben wir uns in den sensiblen Bereich der Meinungsfreiheit. Und es ist ganz klar: In unserer offenen Demokratie des Grundgesetzes schützt die Meinungsfreiheit auch überspitzende, abstoßende und hässliche Äußerungen.
Die Meinungsfreiheit wäre nutzlos, würde sie nur diejenigen Äußerungen schützen, die der Mehrheit ohnehin gefallen. Umgekehrt gilt aber auch, dass die Meinungsfreiheit dort endet, wo das Strafrecht beginnt.
In jedem Einzelfall muss kritisch geprüft werden, ob ein Post – bei aller möglichen Überspitzung – noch Bestandteil des „Wettstreits der Meinungen“ ist, den das Grundgesetz schützt, oder ob es um keine Auseinandersetzung in der Sache mehr geht, sondern der andere nur noch verächtlich gemacht und bloßgestellt werden soll.
Ähnliches gilt für die von Ihnen angesprochenen wissenschaftlichen Darstellungen. Es kann nur im Einzelfall geklärt werden, ob hier ein legitimes Interesse an der Veröffentlichung vorliegt oder ob die Schwelle zur Strafbarkeit bereits überschritten ist. Das ist aber nicht neu, sondern für viele Straftatbeständen typisch.
In Ihrer täglichen Pressearbeit sehen Sie sich ja auch mit diesem Problem konfrontiert. Letztlich werden bei den sozialen Netzwerken wie bei Zeitungen, dem Fernsehen oder dem Rundfunk auch nur die Gerichte im Laufe der Zeit für Klarheit sorgen können, wo genau die Grenze zwischen notwendiger Löschung und Strafe einerseits und legitimer Äußerung andererseits verläuft.
Müssten dann nicht auch konsequenterweise alle Anleitungen zur Benutzung von Waffen verboten werden?
Das kann das Ergebnis einer solchen Prüfung sein. Entscheidend sind der Zusammenhang und die Zielrichtung, mit denen eine solche eine solche Anleitung veröffentlicht wird. Wir wollen hier kein neues Verbot schaffen.
Bereits heute ist nach dem Strafgesetzbuch die Anleitung zu Straftaten strafbar. Wer so etwas postet, riskiert bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Nach dem Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums wären Facebook und Co. gleichwohl nicht verpflichtet, einen solchen Post zu löschen. Das kann nicht sein.
Wenn Facebook-Mitarbeiter entscheiden sollen, ob ein Straftatbestand erfüllt und eine Löschung geboten ist, übernehmen Sie dann nicht die Aufgabe von Richtern?
Ich denke, hier muss man unterscheiden: Lehnt der Betreiber eines sozialen Netzwerks die Löschung eines Posts ab und wird deswegen gegen ihn ein Bußgeld verhängt, haben die Gerichte das letzte Wort. Dasselbe gilt, wenn die Behörden nicht einschreiten und derjenige, der meint, sein Persönlichkeitsrecht sei durch einen Post verletzt, auf Löschung klagt.
Anders sieht dies für den Nutzer aus, der sich im Internet äußert, wenn sein Beitrag gelöscht wird. Die Frage nach einem Anspruch auf Veröffentlichung bestimmter Posts gegenüber dem Betreiber des sozialen Netzwerks erscheint mir noch ungeklärt.
Das kann zu Problemen führen, wenn die sozialen Netzwerke eine selektive Löschungspraxis entwickeln oder gleichsam auf Zuruf alles löschen, was ihnen gemeldet wird. Ein Vorgehen, das bei einem rein wirtschaftlich denkenden Unternehmen ja nicht fernliegend ist.
Zu einer offenen Gesellschaft gehören aber auch stark überspitzende, tendenziöse und mitunter auch abstoßende Äußerungen. Was nicht passieren darf, ist, dass große Internetunternehmen wie Google oder Facebook das Entscheidungsmonopol darüber bekommen, welche Debattenbeiträge noch die Öffentlichkeit erreichen und welche nicht.
Ich denke daher, dass auch dem von einer Löschung Betroffenen der Weg zu den Gerichten offen stehen muss. Wir werden uns darüber Gedanken machen müssen, wie sowohl das Interesse desjenigen, der sich äußert und desjenigen, der sich durch die Äußerung verletzt sieht, zur Geltung kommen. Aber um es ganz klar zu sagen: Unser derzeitiges Problem liegt woanders.
Statt zu viel zu löschen bleiben große soziale Netzwerke oftmals schlicht untätig.
Wenn die Urheber der Hasskommentare zur Verantwortung gezogen werden sollten, müssten Staatsanwaltschaft und Polizei im Netz genauso ermitteln wie auf der Straße. Inwiefern gibt es dazu in Bremen überhaupt die notwendigen Kapazitäten und Ressourcen?
Polizei und Staatsanwaltschaft in Bremen gehen allen Anzeigen nach, die bei ihnen eingehen. Aber wie auf der Straße auch sind die Strafverfolgungsbehörden bei der Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz auf die Hilfe des Bürgers angewiesen.
Es ist daher gut, dass durch die Debatte um die Löschung und Strafbarkeit von Hasskommentaren das Bewusstsein dafür geschärft wird, womit wir es hier zu tun haben. Und eine Pflicht der Betreiber sozialer Netzwerke, strafbare Inhalte den Strafverfolgungsbehörden gegenüber anzuzeigen, würde Polizei und Staatsanwaltschaft bei ihrer Arbeit sehr helfen.