Mit einem Missverständnis räumt Cordes, der das Bremer Institut für Rechtsmedizin leitet, gleich auf: „Wir werden im Rahmen der Leichenschau keine Leiche aufschneiden.“ Bei der Begutachtung des Toten geht es ausschließlich um eine äußerliche Untersuchung.
Statt Skalpell oder Knochensäge sind die wichtigsten Instrumente des Leichenschauarztes: seine Augen und sein Wissen. Sie sollen dazu beitragen, dass Tötungsdelikte in Bremen häufiger erkannt werden.
Ist das wirklich eine Leiche?
Schon jetzt führen Cordes und seine Institutskollegen regelmäßig diese Untersuchungen durch – allerdings nur dann, wenn der Hausarzt des Verstorbenen nicht zur Verfügung steht. Künftig sollen Fachleute wie sie jeden Toten in Bremen begutachten.
„Im ersten Schritt geht es immer erst einmal darum, festzustellen, ob man tatsächlich eine Leiche vor sich hat“, erklärt Cordes. Und dabei gehen Rechtsmediziner anders vor als einige Hausärzte, die schon einmal „kein Puls“ oder „keine Atmung“ als Todeszeichen festhalten.
„Kein Puls“ ist kein sicheres Todeszeichen
„Das sind aber keine sicheren Anzeichen“, betont Cordes. Er achtet stattdessen zum Beispiel auf Totenflecken, die sich schon nach rund 20 Minuten bilden. „Sie sind rötlich-violett und entstehen, weil das Blut im Körper absackt“, erklärt er.
Allein die Farbe dieser Flecken kann Experten viel verraten. „Ist der Mensch an einer Kohlenmonoxidvergiftung gestorben, sind die Flecken zum Beispiel deutlich heller“, so Cordes. Andersherum kann ein Toter, der mit dem Kopf in einer vermeintlichen Blutlache liegt, trotzdem eines natürlichen Todes gestorben sein. „Ausgetretene Fäulnisflüssigkeit sieht für Laien manchmal wie Blut aus.“
Leichen werden entkleidet begutachtet
Grundsätzlich gilt: Der Leichnam ist vollständig entkleidet zu begutachten. Aus ethischen Gründen hat Cordes für sich einen Kompromiss gefunden. Die Unterwäsche zieht er Verstorbenen meistens nicht aus. Um trotzdem die gesamte Hautoberfläche untersuchen zu können, verschiebt er diese Kleidungsstücke.
„Manchmal kommt man aber nicht drum herum, die Bekleidung aufzuschneiden“, sagt er. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Totenstarre eingesetzt hat – ein weiteres „sicheres Todeszeichen“.
Experten achten auf kleinste Verletzungen
Am Ablauf der Leichenschau ändert sich künftig im Prinzip nichts. Neu ist nur, dass ein qualifizierter Leichenschauarzt statt eines Hausarztes diese Aufgabe übernimmt. Ihm soll mehr auffallen, zum Beispiel Verkrustungen und Kratzer auf der Haut, die auf eine Auseinandersetzung hinweisen.
Wenn Cordes Leichen an ihrem Fundort untersucht, sieht er sich auch immer die Umgebung an oder spricht mit Angehörigen. Gab es Vorerkrankungen oder Auffälligkeiten in den vergangenen Tagen? Steht vielleicht noch ein Becher mit Medikamentenresten herum?
Debatte um richtigen Untersuchungsort
Solche Hinweise könnten allerdings auch in Zukunft unentdeckt bleiben, denn die qualifizierte Leichenschau soll in der Leichenhalle stattfinden und nicht direkt am Fundort. Ausnahmen gibt es nur, wenn bereits frühzeitig der Verdacht auf ein Verbrechen besteht.
Diese zentrale Leichenschau ist durchaus umstritten. Insbesondere die Polizei würde es begrüßen, wenn der Experte direkt am Leichenfundort tätig wird. Deshalb soll zumindest ein repräsentativer Teil der Verstorbenen eben doch genau dort untersucht werden, wo sie gefunden werden. Eine Auswertung soll zeigen, wie viele zusätzliche Erkenntnisse die Leichenschauärzte bei ihren Untersuchungen vor Ort finden.