Radler mit perfektem Outfit: Mit einer Kreissäge behütet und im dunklen Anzug durchfährt er um 1890 die Bahnhofstraße. Abbildung: Stadtarchiv Delmenhorst
Fahrradstadt

Man nannte sie „Velocipeden“

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Es war ein langer Weg von der 1817 konstruierten Laufmaschine des badischen Forstbeamten Karl Drais bis hin zu den heutigen Hightech-Rädern. 1887 wurden vermutlich die ersten Fahrräder in Delmenhorst gekauft.

Bereits 1885 arbeitete das Oldenburger Staatsministerium an Richtlinien für die Benutzung von Fahrrädern, die zu dieser Zeit allerdings noch „Velocipeden“ genannt wurden und auch im Delmenhorster Straßenbild immer mehr in Erscheinung traten. Nach diesen Richtlinien hatte jeder Radfahrer eine Signalglocke und bei Dunkelheit eine brennende Laterne mit sich zu führen. Entgegenkommenden Fußgängern, Fuhrwerken, Reitern und geführten Pferden war in langsamer Fahrt mit Vorsicht auszuweichen.

Der Kaufmann Carl Helms verkaufte vermutlich als erster seit 1887 Fahrräder in Delmenhorst. Die frühen Radfahrer wurden von ihren Mitmenschen bestaunt und bewundert. Ein Fahrrad kostete damals mehrere hundert Mark und war ein Luxusartikel. Dabei verfügte es nicht einmal über Bremsvorrichtungen und Schutzbleche.

In seinem Atelier an der Schulstraße lichtete der Fotograf Christian Jessen diese drei Fahrradpioniere ab. Abbildung: Stadtarchiv Delmenhorst

In seinem Atelier an der Schulstraße lichtete der Fotograf Christian Jessen diese drei Fahrradpioniere ab. Abbildung: Stadtarchiv Delmenhorst

Und das Outfit des selbstbewussten Radlers verlangte nach einem sportlichen Dress. Beliebt waren zu langen Strümpfen die eben über das Knie reichenden sogenannten „Knickerbocker“. Um sich vor dem Fahrtwind zu wappnen, zog man einen „Sweater“ unter, häufig bedeckt von Schlips und Kragen. Als Kopfbedeckung wurde die windschnittige Ballonmütze favorisiert.

1905 waren schon so viele Radler unterwegs, dass es einem Zeitungsredakteur notwendig erschien, den Schutz von Fußgängern im Tiergarten einzufordern. Er schrieb: „Halbwüchsige Burschen und größere Knaben scheinen den Tiergarten zum Tummelplatz mit ihren Rädern ausersehen zu haben.“ Dies sei in einem Maße der Fall, dass die Spaziergänger in dem Gehölz kaum die Wege benutzen konnten, ohne Gefahr zu laufen an- und überfahren zu werden. Deshalb wünschte er sich, die jungen Radfahrer sollten „ihre Arena an Orten aufschlagen, wo sie keine Spaziergänger störten.“

Schnell gründeten sich Vereine, die sich dem Radsport widmeten, zunächst vorwiegend in Hallen und Gaststättensälen. 1902 wurde der Radfahrerverein Adelheide aus der Taufe gehoben, 1906 folgte der Radsportverein „Urania“, 1908 dann der Radfahrverein „Komet“, um hier nur einige zu nennen.

Nicht gern gesehen: 1960 haben viele Radfahrer ihre Räder an den Schaufenstern des Hauses Hohenböken an der Langen Straße abgestellt. Abbildung: Stadtarchiv Delmenhorst

Nicht gern gesehen: 1960 haben viele Radfahrer ihre Räder an den Schaufenstern des Hauses Hohenböken an der Langen Straße abgestellt. Abbildung: Stadtarchiv Delmenhorst

Das Fahrrad setzte sich immer mehr durch, brachte Mobilität und ermöglichte es Arbeitern aus Delmenhorst auch auf Werften und bei Industriebetrieben im benachbarten Bremen Beschäftigung zu suchen. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es als kraftstoffunabhängiges Transportmittel wertgeschätzt, seine Popularität schwand in der Ära des Wirtschaftswunders. Motorräder und Autos waren nun die erschwinglich gewordenen und begehrten Fortbewegungsmittel.

Ökologische Gesichtspunkte, gesundheitliche Aspekte und die Freizeitqualität des Fahrrades verleihen ihm in unseren Tagen wieder einen höheren Stellenwert.

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