Schonungslos deckt Verkehrsexperte Karl-Peter Naumann die Fehler der Deutschen Bahn auf. Den Managern dort empfiehlt er einen Blick in die Schweiz. Foto: pv
Interview

Bahn-Krisenmanagement: „Zuglotsen für den Notfall“

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Ob Xavier oder Herwart - kaum stürmt es, gerät die Deutsche Bahn ins Trudeln. Doch sie lernt dazu. Was sie jetzt noch tun muss, erklärt Pro-Bahn-Ehrenvorsitzender Karl-Peter Naumann im Interview.

Weser Report: Herr Naumann, beim Sturm Xavier vor drei Wochen glitt die Deutsche Bahn ins Chaos ab. Wie gut hat sie sich jetzt auf den Sturm Herwart vorbereitet?

Naumann: Sie hat ein wenig dazu gelernt. Die Informationen über Verspätungen und Ausfälle von Zügen kamen schneller. Aber andere Eisenbahnunternehmen mach-
en vor, wie es noch sehr viel besser geht, in Norddeutschland zum Beispiel der Metronom. Er meldete alle ein bis zwei Stunden, welcher Zug fährt, und sagt auch, warum ein Zug nicht fährt.

Die Deutsche Bahn schickt während der Zugausfälle zwar viele Mitarbeiter zum Bahnhof, aber die können oft nicht umfassend Auskunft geben. Was läuft schief?

Das ist nach wie vor ein großes Problem. Das Informationssystem der Bahn ist nicht auf dem technisch neuesten Stand. Sie hat zwar eine große Truppe dafür abgestellt, gute Leute, die das Problem erkannt haben, aber es dauert, bis sie das Informationssystem in dem gro­ßen Konzern mit über 6.000 Bahnhöfen umgestellt haben.

Warum weichen die Züge nicht auf Ersatzstrecken aus, wenn die Stammroute gesperrt ist?

Es gibt kaum einen Plan für Umleitungen. Bei den deutschen Autobahnen gibt es Hunderte von ausgewiesenen Umleitungsstrecken. So etwas fehlt bei der Deutschen Bahn. Sie muss Konzepte entwickeln, wie man im Störfall auf andere Strecken ausweichen kann. Vielleicht dann nicht mit einem ICE, sondern mit einem Regionalzug. Aber das ist ja dann egal, Hauptsache, die Reisenden kommen voran.

Wie viele Ausweichstrecken gibt es?

In einigen Regionen gibt es schon Alternativen. Von Köln nach Frankfurt beispielsweise kann der Zug am Rhein entlang fahren oder die Schnellfahrstrecke benutzen oder eine dritte regionale Strecke durch den Westerwald. Aber die Lokführer müssen die Alternativen auf dem Schirm haben, sie brauchen Streckenkenntnisse.

Besitzen die Lokführer keine Karten oder ein Navigationsgerät?

Der Lokführer eines ICE kennt in der Regel nicht die Regionalstrecken. Aber das lässt sich alles organisieren. Im Notfall müsste ein streckenkundiger Lokführer den Zug als Lotsen begleiten.

Wie großzügig ist die Deutsche Bahn bei der Erstattung von Fahrkarten, die nicht benutzt wurden?

In der Regel läuft das gut. Dass es in Einzelfällen mal Probleme gibt, ist, glaube ich, normal. Für solche Fälle haben wir in Berlin die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Verkehr, an die sich die betroffenen Fahrgäste wenden können.

Das Gleisnetz wird von der Netz AG betrieben, einer Tochter der Deutschen Bahn. Wie kann der Netzbetrieb verbessert werden?

Der Netzbetreiber muss ein größeres Interesse daran haben, dass das Netz auch befahrbar ist und Einnahmen generiert. Hier gibt es einen deutlichen Handlungsbedarf. Aufgrund der rechtlichen Lage ist es dem Netzbetreiber fast egal, ob gefahren wird oder nicht. Für die nicht gefahrenen Züge erhält er zwar kein Geld, ist aber auch nicht verpflichtet Schadensersatz zu zahlen, wenn die Gleise nicht befahrbar sind. Hingegen sind die Eisenbahnunternehmen gegenüber ihren Kunden schadensersatzpflichtig, wenn die Züge ausfallen. Das passt nicht zusammen.

Warum werden Sträucher und Bäume entlang den Gleisen nicht stärker beschnitten oder im Extremfall sogar gefällt, damit sie bei Sturm nicht auf die Gleise oder die Oberleitungen fallen?

Für den Baumbestand gibt es sehr strenge Regeln. Grundsätzlich ist es so, dass man für das Beschneiden oder Fällen einen Bescheid beantragen muss. Oft wird er relativ spät beantragt, die Behörden arbeiten auch nicht immer so schnell, wie sie müssten, und dann kommt die Genehmigung zu spät. Das zweite Problem ist: Für das Grün an den Schienenstrecken gelten keine besonderen Regeln, wie sie für Autobahnen existieren

Wie fiel die Reaktion auf Ihre Forderung aus, einen Runden Tisch mit allen betroffenen Unternehmen und Institutionen einzurichten?

Die Metronom-Gesellschaft ist darauf eingegangen. Die Antwort der Deutschen Bahn steht noch aus.

Welches Land kann bei der Bahn Vorbild sein für Deutschland?

In der Schweiz läuft es deutlich besser. Sie investiert je Einwohner etwa sechs Mal so viel ins Schienennetz wie Deutschland.

Zur Person

Seit den 1980er Jahren engagiert sich Karl-Peter Nauman (67) in der Verkehrspolitik. 1986 gründete er den Verkehrsclub Deutschland (VCD) mit, 1996 übernahm er den Bundesvorsitz des Fahrgastverbandes Pro Bahn, 2012 wurde er zum Ehrenvorsitzenden ernannt.

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