Weser Report: Herr Röwekamp, die CDU geht mit einem neuen Spitzenkandidaten in den Bürgerschaftswahlkampf 2019, mit dem parteilosen IT-Unternehmer Carsten Meyer-Heder. Aber mit welchen neuen Themen?
Thomas Röwekamp: Wir wollen mehr Einwohner, mehr Arbeitsplätze und eine Verbesserung der Lebensverhältnisse erreichen. Stichwort: wachsende Stadt. Hauptaugenmerk ist die Mittelschicht, also Familien mit einem durchschnittlichen Einkommen. Im Moment ist es für sie schwierig, in Bremen eine Immobilie zu finanzieren, weil die Immobilienpreise hier so hoch sind. Daher wandern viele ins niedersächsische Umland ab. Wir müssen es schaffen, dass die Menschen, die hier arbeiten und leben wollen, bezahlbaren Wohnraum bekommen. Wir brauchen die Mittelschicht auch für eine gesunde Stadtgesellschaft.
Wie erreichen Sie, dass Eigenheime günstiger werden?
Wir wollen einen neuen Stadtteil bauen, gerade auch für diese Zielgruppe. Dafür haben wir das Gelände der Neustädter Häfen ins Auge gefasst. 2027 läuft der Pachtvertrag mit dem Logistikunternehmen BLG aus. Bremen ist Eigentümer der Fläche, wir brauchen also keinen Bauträger, die Stadt kann die Grundstückspreise bestimmen. Denn solange sie Eigentümerin ist und die geplanten Häuser dort selber verkaufen kann, kann sie so günstige Preise bieten wie die niedersächsischen Landkreise.
Ihren Plan lehnen sogar Mitglieder Ihrer Partei ab.
Große Ideen stoßen immer auf großen Widerstand, aber wir bekommen auch Zuspruch. Fest steht: Wer wachsen will, braucht Fläche. Natürlich braucht Bremen auch Gewerbeflächen. Der Umschlag in den Neustädter Häfen kann anderswo in Bremen und Bremerhaven genauso gut gemacht werden.
Für mehr Menschen braucht Bremen mehr Arbeitsplätze, hat aber die höchste Arbeitslosenquote aller Bundesländer.
Wir haben keinen Mangel an Arbeitsplätzen. Unser Problem ist, dass die Stellen, die wir haben, oft nicht von den Arbeitslosen eingenommen werden können. Das ist ein Problem der Qualifikation. Deshalb wollen wir neue Qualifizierungsprogramme insbesondere für Langzeitarbeitslose auflegen.
Warum die Menschen nicht frühzeitig qualifizieren?
Wir müssen massiv in den frühkindlichen Bereich und in den Bildungsbereich investieren. Wenn wir regieren würden, stünde an erster Stelle eine Unterrichtsgarantie. Wir wollen so viele Kräfte an Reserve vorhalten, dass faktisch kein Unterricht mehr ausfällt. Darüber hinaus wollen wir massiv das Angebot an Ganztagsbetreuung ausbauen, auch weil wir Kinder aus bestimmten sozialen Milieus sonst gar nicht mehr erreichen.
Woher nehmen Sie das Geld dafür?
Bremen hat mit dem Länderfinanzausgleich ab 2020 gute Voraussetzungen. Die müssen aber auch aktiv genutzt und gestaltet werden, das Geld darf nicht wie bisher unter Rot-Grün versickern. Bis zum Jahr 2035 soll dann jedes Kind, das in die Kita oder Schule kommt, einen Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung erhalten.
Muss dann jedes Kind in die Ganztagsbetreuung?
Wir werden noch darüber diskutieren, wie verbindlich das Angebot ist. In der Kita können auch Probleme wie Sprach- und Konzentrationsschwierigkeiten schon gelöst werden, die sonst in der Grundschule auftauchen. Deshalb ist es sinnvoll, Kinder aus unterschiedlichen Milieus früh in Betreuungseinrichtungen zusammenzubringen und zu fördern.
Wie stark steigen denn dann die Kita-Beiträge?
Wenn wir junge Familien in unserer Stadt halten wollen und wir deshalb günstige Baupreise ermöglichen, macht es keinen Sinn, von Familien mit zwei Kita-Kindern 600 Euro für Kita zu verlangen, während die Kitas etwa in Lilienthal beitragsfrei sind. Niedersachsen will ja zum
1. August die beitragsfreie Kita durchsetzen. Ich sehe deshalb Handlungsbedarf.
Beitragsfreie Kitas, mehr Lehrer – wie soll Bremen das bezahlen?
Wir wollen die 400 Millionen Euro, die Bremen 2020 als Konsolidierungshilfe bekommt, nicht in den allgemeinen Haushalt stecken, sondern vollständig in die Tilgung. Mit 12 Millionen Euro Zinsersparnis im ersten Jahr und den 87 Millionen Euro, die nach derzeitigen Schätzungen aus dem Umsatzsteueraufkommen nach Bremen fließen, haben wir etwa 100 Millionen Euro, die wir allein im ersten Jahr für politische Schwerpunkte nutzen können. Bis 2035 stünden uns sogar mehr als 2,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Und die Bildung wird der größte Schwerpunkt sein. Auch der Bund hat die Bedeutung dieses Themas deutlich gemacht: CDU, CSU und SPD haben sich darauf geeinigt, dass der Bund die Länder mit mehreren Milliarden Euro in der Bildung unterstützt.
Dafür müsste die Bremer CDU an die Regierung kommen.
Wenn man das will, kann man das erreichen.
Bisher wollte die CDU nicht?
Die Rahmenbedingungen haben sich geändert: Wir haben den schwächsten Bürgermeister seit 30 Jahren, und das rot-grüne Bündnis bröckelt. Wir haben als CDU nach dem Ende der bremischen großen Koalition 2007 auch keine gute Figur gemacht, aber wir haben daraus gelernt.
Wie koalitionsfähig ist denn die CDU mit ihrem neuen Spitzenkandidaten?
Außer mit der Linken und der AfD können wir mit jeder Partei koalieren. Mit der FDP, den Grünen und der SPD gibt es Schnittmengen. Deshalb kommen solche Bündnisse im Prinzip alle infrage.
Fraktionschef Thomas Röwekamp sagt über die Pläne seiner Partei, der CDU, betr. Bremen:
1. Mehr Einwohner, mehr Arbeitsplätze, Verbesserung der Lebensverhältnisse
2. Wir brauchen die Mittelschicht
3. Ein neuer Stadtteil, das Gelände der Neustädter Häfen
4. Neue Qualifizierungsprogramme, insbesondere für Langzeitarbeitslose
5. Unterrichtsgarantie. Mehr Lehrer. Ganztagsbetreuung. Beitragsfreie Kitas.
Meine Frage: Mit wem hat Thomas Röwekamp dieses Programm abgesprochen? Mit der Fraktion? Auf einem Parteitag? Mit dem Landesvorstand? Mit dem neuen Spitzenkandidaten Carsten Meyer-Heder? Davon ist nicht die Rede. Und: Was an diesem Programm ist charakteristisch für die CDU? Das sehe ich nicht.
Sodann greift Thomas Röwekamp Carsten Sieling an, wenn er sagt: „Wir haben den schwächsten Bürgermeister seit 30 Jahren.“ Wie soll ich das verstehen? Bis vor rund 30 Jahren, bis 1985, war Hans Koschnick im Amt. Meint Thomas Röwekamp, Hans Koschnick sei noch schwächer als Carsten Sieling gewesen? Doch wohl nicht. Oder doch? Oder meint Thomas Röwekamp: „Alle Bürgermeister nach Hans Koschnick: Klaus Wedemeier, Henning Scherf, Jens Böhrnsen – waren schwächer als jener, aber Carsten Sieling ist der schwächste von ihnen.“ Dann sollte Thomas Röwekamp das auch sagen.
Sein Satz: „Wir haben als CDU nach dem Ende der bremischen großen Koalition (1995-) 2007 auch keine gute Figur gemacht, aber wir haben daraus gelernt“, hätte doch Anlass sein können für die beiden Redakteure des WR, nachzufragen, was denn die CDU „daraus gelernt“ hat. Das interessiert die Menschen doch, zumal für viele Bremer die CDU die letzte Hoffnung darauf ist, dass Bremen nicht untergeht.
Dann aber die letzte Frage. Eine gute Frage, finde ich, deren Antwort überrascht:
WR: Frage: Wie koalitionsfähig ist denn die CDU mit ihrem neuen Spitzenkandidaten?
Thomas Röwekamp: „Außer mit der Linken und der AfD können wir mit jeder Partei koalieren. Mit der FDP, den Grünen und der SPD gibt es Schnittmengen. Deshalb kommen solche Bündnisse im Prinzip alle infrage.“
Wie kommt Thomas Röwekamp zu solchen Aussagen? Was hat er für ein Weltbild, das eine Koalition mit den LINKEN und der AfD ausschließt? Ein christliches? Woran merkt man das? Das kann für die AfD kein Ausschlusskriterium sein. Sind die LINKEN und die AfD keine Demokraten? Nein? Warum dürfen sie dann trotzdem noch in der Bürgerschaft agieren und sich als Partei zur Wahl stellen? Rätsel über Rätsel. Sind das etwa die Bösen, von denen die Bibel spricht? Wenn ja: Warum bekämpft die CDU die LINKEN und die AfD dann nicht jetzt schon in der Bürgerschaft und als Partei? Davon weiß ich nichts. Darüber müsste Thomas Röwekamp sich doch auslassen, damit ich weiß, wen ich mit welchen Konsequenzen für Bremen, für mich und für meine Lieben wähle, wenn ich der CDU meine Kreuze gebe.
Strich drunter: Thomas Röwekamp ist ja kein schlechter Mann. Er ist zweifellos der beste Rhetoriker in der Bürgerschaft. Er kann mit Zahlen jonglieren. Mich hat er immer gut behandelt. Aber dass er nichts Erkennbares dazugelernt hat seit 2007, das macht dieses Interview deutlich. Mein Rat: Thomas Röwekamp sollte sich aus der Politik zurückziehen. Freiwillig.
Martin Korol, Bremen