„Man gerät schnell unter Verdacht, ein Faulenzer oder Simulant zu sein“, sagt Joseph Kraus. Der Freiburger radelt gerade per Tandem-Fahrrad mit der „Mut-Tour 2018“ durchs Land und will damit um Verständnis für die Situation von Menschen werben, die unter Depressionen leiden. Die Aktion gibt es seit vier Jahren, unter Schirmherrschaft von „Werder-Willi“ Wilfried Lemke und der Sozialwissenschaftlerin Annelie Keil waren allein vergangenes Jahr 134 depressionserfahrene und -unerfahrene Menschen 25.500 Kilometer unterwegs gewesen. „Wer sich aufs Rad setzt und jeden Tag eine Strecke von rund 60 Kilometern zurücklegt, ist doch nicht faul“, ergänzt Gert Treuter.
Beide haben sie Erfahrung mit der Erkrankung. Viele andere Betroffene würden sich aufgrund weit verbreiteter Vorurteile nicht trauen, um Hilfe nachzusuchen. Treuter hat es erlebt, dass einer ihm nahestehenden Person nicht mehr geholfen werden konnte. Nun wäre er froh, wenn sein Engagement auch nur einem einzigen die Hilfestellung bietet, die er bräuchte. Dazu gehört aber auch Mut, deshalb das Motto dieser Aufklärungsfahrt, die eine der Gruppen gestern von Bremen nach Bremerhaven führte.
„Gemeinsamer Sport ohne Leistungsdruck und in der Natur“
Begleitet werden die Radler von Freiwilligen des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC). Als Ortskundige führen sie ihre Gruppe nicht entlang von Hauptstraßen, sondern gerne durch die Natur. „Die Kombination aus Sport ohne Leistungsdruck, Struktur und Natur hebt die Stimmung“, so Joseph Kraus. Gestern gab es einen Stopp auf dem Scharmbecker Marktplatz, es soll unterwegs mit möglichst vielen Menschen gesprochen werden und auch mit Vertretern der Medien.
„Menschen sollen sich nicht auch noch dafür schämen müssen, dass sie unter Depressionen leiden“, meint Mona Winter. „Wer sich lange Zeit abschottet, Gefühllosigkeit zeigt oder grundlos anfängt zu weinen, sollte diese Zeichen ernst nehmen“, sagt sie. Es gebe Selbsthilfegruppen, in denen sich an Depressionen Erkrankte austauschen können. „Wir nehmen auch nicht bloß einmal pro Jahr an dieser Fahrradtour teil, wir haben uns dadurch vernetzt und sind gegenseitig erreichbar, wenn wir jemanden zum Reden brauchen“, sagt Joseph Kraus. Wichtig sei, professionelle Hilfe in Anspruch nehmen zu können, so Gert Treuter. Die Gesellschaft bräuchte eine Entstigmatisierung des Themas, Betroffene und auch ihre Angehörigen würde geholfen sein, wenn angst- und schamfrei mit dem Thema psychischer Erkrankungen umgegangen werde.