Weser Report: Herr Broll-Bickhardt, was steckt alles im Bremer Abwasser?
Jörg Broll-Bickhardt: Kläranlagen sind ein Spiegel der Gesellschaft. Im Abwasser finden wir alle Stoffe wieder, die die Bürger und die Unternehmen benutzen. Es gibt Stoffe, deren Gebrauch nützlich ist wie zum Beispiel Medikamente oder Süßstoffe. Im Abwasser können aber solch nützliche Stoffe zum Problem werden, wenn wir sie nicht vollständig herausfiltern können und sie dann unerwünschte Wirkungen entfalten. Um das zu verhindern, müssen wir schon bei der Produktion der Stoffe ansetzen. Wir können die Welt nicht am Ende des Kanals retten.
Was sind die größten Probleme beim Bremer Abwasser?
Die größte Herausforderung sind Medikamente und Mikroplastik. Schon heute sind Kläranlagen hier Teil der Lösung, weil beispielsweise Mikroplastik sehr gut in Kläranlagen herausgefiltert wird. Grundsätzlich gilt aber für den gesamten Reinigungsprozess: Wir können das Abwasser nicht zu 100 Prozent reinigen.
Gereinigtes Abwasser hat also keine Trinkwasserqualität?
Nein. Wenn wir das Abwasser gereinigt haben, ist es zwar sauberer als die Weser. Aber an das Trinkwasser werden deutliche höhere Anforderungen gestellt. Es muss zum Beispiel keimfrei sein. Das ist gereinigtes Abwasser nicht.
Wie kommt Mikroplastik ins Abwasser? Vor allem durch Kosmetik etwa beim Waschen?
Das hat man bisher gedacht, aber die Kosmetikhersteller haben schon einiges verändert. Nach den aktuellsten Forschungsergebnissen gelangen die meisten Mikroplastik-Teile durch Reifenabrieb ins Abwasser. Beim Autofahren lösen sich winzigste Teilchen von den Reifen und gelangen bei Regen in die Kanäle und damit ins Abwasser. Auch beim Waschen von Outdoor-Kleidung kommt Mikroplastik ins Abwasser. In niedersächsischem Abwasser wurden auch multiresistente Keime gefunden. Problematisch wird es, wenn die Keime, die gegen unsere Antibiotika resistent sind, über den Wasserkreislauf ins Trinkwasser gelangen und die Arzneimittel nicht mehr wirken.
Was bewirken all diese Stoffe im Abwasser?
Es gibt Indizien, dass es zum Beispiel durch Östrogene im Abwasser zu einer Verweiblichung bei Fischen kommt. Aber das ist nicht bewiesen. Über die Wirkung vieler Stoffe ist man sich nicht im Klaren, sie wird erst erforscht
Warum spitzt sich das Thema gerade jetzt zu?
Man kann heute viel genauer messen. Heute ist es möglich, sogar Stoffe aufzuspüren, von denen nur ein zehntausendstel oder sogar nur ein millionstel Gramm im Wasser vorkommt. Mit der modernen Analytik kann man sogar feststellen, ob jemand ein Stück Würfelzucker in den Bodensee geworfen hat. Auch der Gehalt von Rauschgiften im Abwasser lässt sich messen. Das ist allerdings mehr ein Thema von Sozialwissenschaftlern. Die versuchen herauszufinden, warum im Dresdner Abwasser besonders viel Crystel Meth gefunden wird und im Düsseldorfer viel Kokain.
Dann werden wir noch Überraschungen erleben, je genauer die Messmethoden werden?
Das schließe ich nicht aus.
Was geschieht mit dem Klärschlamm, der bei der Reinigung des Abwassers anfällt? Von 2030 an darf er nicht mehr als Dünger auf die Felder gebracht werden.
In Zukunft muss der Klärschlamm verbrannt werden. Gemeinsam mit dem Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband (OOWV) und den Unternehmen EWE Wasser und SWB wollen wir deshalb in Bremen eine Klärschlamm-Verbrennungsanlage bauen. Sie soll auf dem Kraftwerksgelände im Hafen stehen. Wir beginnen gerade mit den Planungen, Anfang 2022 soll die Anlage in Betrieb gehen. Die Investitionskosten betragen voraussichtlich 50 Millionen Euro. Die Partner OOWV und EWE Wasser bringen ihren Klärschlamm dann auch dorthin.
Erhöhen Sie die Abwassergebühren?
Die Festsetzung der Gebühren ist eine hoheitliche Aufgabe der Stadt. In Bremen sind die Gebühren seit 1999 stabil, seit der Gründung von Hansewasser. Ein Grund dafür ist auch unser Geschäftsmodell. Die Gründung von Hansewasser aus der Bremer Stadtentwässerung heraus und damit die Teilprivatisierung des Abwassergeschäfts hat ihm einen deutlichen Schwung gebracht. Die Gebühren sind stabil, die Mitarbeiter sind zufrieden, wir sind unternehmerisch erfolgreich und tun was für unsere gesellschaftliche Verantwortung, und vor allem sind wir ein verlässlicher Partner der Stadt. Darum stört es uns, wenn jetzt manche das Kind mit dem Bade ausschütten wollen, eine Rekommunalisierung fordern und aus reiner Ideologie behaupten, ein stadteigenes oder landeseigenes Unternehmen sei per se besser als ein privates.