Sie sei nah am Wasser gebaut, entschuldigte Cheryl Link ihre Tränen. Bürgermeister Torsten Rohde empfing Sonnabendvormittag in seinem Amtszimmer Nachfahren einer jüdischen Mitbürgerin, die 1938 vor den Nazis fliehen musste. „Sie ist die beste Schwiegermutter, die ich mir wünschen kann“, fuhr die Amerikanerin fort, die zusammen mit ihrem Ehemann John Deutschland bereiste und zuletzt einen kurzen Stopp in Osterholz-Scharmbeck einlegte.
Seine Mutter lebte bis zu ihrem neunten Lebensjahr in der Sandbergstraße 15, so John Link. Erika Ratusch hatte bis zur Reichspogromnacht am 9. November 1938 den Religionsunterricht in der Synagoge besucht. Ihre Familie wurde dann gezwungen, das Wohnhaus an die Stadt zu verkaufen. „Wir kamen bei Cousins in Bremen unter“, berichtete die heute 87-Jährige über eine per Video eingespielte Aufzeichnung. Ihr Vater Leon bereitete schon die Emigration in die USA vor, während ihrer Mutter Anna die Deportation nach Polen drohte. Aus Verzweiflung nahm sich Anna Ratusch am 24. September 1938 das Leben. Ihre Tochter Erika Ratusch gelang dann im März 1939, zusammen mit ihrer Schwester Sonja und ihrem Bruder Jacob, die Ausreise über Hamburg nach New York.
Mehr über das Schicksal ihrer Familie erfahren
John und Cheryl Link dankten Bürgermeister Rohde sowie Ilse Schröder, die Verfasserin der Dokumentation „Jüdische Bürgerinnen und Bürger in Osterholz-Scharmbeck“ ist, und Jürgen Heuser, der viele heimatgeschichtlich bedeutende Ereignisse in seinem Blog www.teufelsmoor.de einbindet. Über diese Veröffentlichungen hatte das Ehepaar Link beinahe mehr über das Schicksal von Erika Ratusch erfahren, als von der Betroffenen selbst. „Sie wollte vieles vergessen und hat versucht es zu verdrängen“, vermutet Cheryl Link. Nun wolle man der rüstigen Seniorin die Fotos von der Reise nach Osterholz-Scharmbeck, von ihrem Geburtshaus, dem Mahnmal für die vertriebenen jüdischen Mitbürger an der Bahnhofstraße und dem jüdischen Friedhof in Bremen-Hastedt, wo ihre Mutter beerdigt wurde, zeigen.
Das Ehepaar Link möchte noch mehr über das Schicksal ihrer Vorfahren aus Deutschland wissen. „Wir werden sie bitten, sich für ihre Enkelkinder daran zu erinnern, noch können wir Fragen an sie stellen.“ John und Cheryl Link wollen gerne zu einem ausführlicheren Besuch wiederkommen.