Von Insa Lohmann
Rund 150.000 offene Stellen beklagt der Zentralverband des Deutschen Handwerks, zudem fehlen jedes Jahr bis zu 20.000 Auszubildende. Obwohl das Handwerk boomt, entscheiden sich viele junge Menschen lieber für die Universität.
Auch Nora Osler und Anne Katherine de Walmont absolvierten nach der Schule zunächst ein Studium. Doch schnell merkten sie, dass sie in ihren erlernten Berufen nicht arbeiten möchten und absolvierten anschließend eine Ausbildung im Handwerk.
Heute betreiben die beiden Frauen in Findorff eine Gemeinschaftswerkstatt unter dem Namen „Stoffe auf Reisen“. Dabei setzen die Gründerinnen vor allem auf Nachhaltigkeit: Materialien wie Produktionsrückstände sollen möglichst vollständig weiterverarbeitet werden.
Nun auch einen Preis bekommen
„Ich habe schon vor Jahren angefangen, diese Sachen aufzuheben“, sagt Nora Osler, ausgebildete Raumausstatterin. „Mit diesen Resten gestalten wir ganz frei“, ergänzt Anne Katherine de Walmont, die eine Ausbildung zur Maßschneiderin mit Schwerpunkt Damen absolvierte.
So verarbeiteten die Jungunternehmerinnen in ihrem ersten Projekt 2017 verschiedene Zuschnittreste eines Polsterstoffes auf einem Sofa. Die Ergebnisse fielen ganz unterschiedlich aus, mal waren die Stoffe Hauptbestandteil, mal Schmuckelement. Osler erklärt: „Wir wollen damit zeigen, was so möglich ist.“
Auch eigene Stoffmuster entwerfen die beiden Bremerinnen, sie weben diese selbst und arbeiten damit beispielsweise ausrangierte Möbelstücke wieder auf. Die Stoffe durchlaufen nicht nur die unterschiedlichen Gewerke, sondern auch verschiedene Produkte – so entstand auch der Name des Handwerkskollektivs „Stoffe auf Reisen“.
Für ihr nachhaltiges Konzept gewannen die beiden Frauen jetzt den Preis Innovatives Handwerk 2018 in der Kategorie Existenzgründung.
„Ich finde es schön, etwas zu gestalten“
Besonders ungewöhnlich an dem Werdegang der beiden Frauen: Maßschneiderin de Walmont und Raumausstatterin Osler absolvierten zunächst Studiengänge, die überhaupt nichts mit ihrer heutigen Tätigkeit zu tun haben. Die Reaktionen von Freunden und Bekannten seien dementsprechend zunächst eher skeptisch ausgefallen, berichtet Nora Osler, die Biologie studiert hat.
„Akademische Berufe genießen noch immer ein höheres Ansehen.“ In ihrem Praktikum bei einem Raumausstatter habe sie gemerkt, wieviel Spaß ihr die Arbeit im Handwerk mache. Auch Anne Katherine de Walmont ist nach dem Studium der Musikwissenschaften mehr und mehr mit der Textilbranche in Berührung gekommen und fand Gefallen an der Arbeit der Schneiderei. „Ich finde es schön, etwas zu gestalten“, sagt sie. „Und dass man am Ende des Tages ein fertiges – oder fast fertiges – Produkt in den Händen hält.“
Am 8. und 9. Dezember präsentieren die Gründerinnen ihre Produkte auf dem alternativen Weihnachtsmarkt Lichter der Neustadt.