Wie fühlt es sich an, das Leben nach dem Fußball?
Peter Niemeyer: Ungewohnt. Ich brauchte eine gewisse Zeit, um mit der Umstellung zurechtzukommen. Einem Fußball-Profi werden feste Strukturen vorgegeben, die fehlten plötzlich. Ich musste mich erst mal daran gewöhnen, dass mir nicht mehr gesagt wird, in welchem T-Shirt ich wann und wo zum Frühstück zu erscheinen habe.
Ist es denn nicht schön, plötzlich mehr Freiheiten zu haben?
Im ersten Moment denkst du: Geil, ich kann jetzt machen, was ich will. Aber dann wachst du morgens auf und weißt gar nicht, welcher Wochentag ist. Das klingt nach Urlaub, aber für mich ist das nichts. Ich hätte noch gerne weitergespielt.
Aber?
Da gehört auch ein Körper dazu, der das mitmacht.
Gab es denn noch reizvolle Angebote?
Niemeyer: Es gab unter anderem eine interessante Möglichkeit auf Mallorca. Ingo Volkmann, der Besitzer von Atletico Baleares, leitet dort ein ambitioniertes und spannendes Projekt. Er hatte mich eingeladen und wollte, dass ich noch ein Jahr spiele.
Sie haben abgelehnt.
Ja. Wenn ich etwas mache, dann mit einhundertprozentiger Überzeugung. Die hatte ich bei der Geschichte nicht, weil ich nicht garantieren konnte, dass mein Körper dem standhält und ich zu 100 Prozent meinen Job machen kann. Auf Mallorca wird zudem auf Kunstrasen gespielt, das war mir zu heikel. Ich habe das Für und Wider abgewogen und mich letztendlich dazu entschlossen, die aktive Karriere zu beenden.
Was fehlt Ihnen nun besonders?
Der Zusammenhalt in einer Mannschaft: Ziele gemeinsam angehen, für einander da sein, gemeinsam kämpfen. Die emotionalen Spitzen in beide Richtungen am Samstagnachmittag – egal ob Sieg oder Niederlage. Bestenfalls um 17.15 Uhr in der Ersten Liga gemeinsam in der Kabine zu sitzen und zu wissen, dass es eine scheiß Woche oder aber eine geile Woche wird, das fehlt mir.
Das klingt wehmütig . . .
Ich verfalle nicht in Selbstmitleid, keine Sorge. Aber jeder, der mal höherklassig Fußball gespielt hat, sagt dir: Spiel’ so lange du kannst. Und ich muss sagen, da ist ‘was Wahres dran.
Nimmt der Promi-Status schon ab, werden Sie weniger erkannt?
Auch das ist eine Umstellung. Ich habe mich zwar nicht ausschließlich über den Fußball definiert, aber nach außen wurde ich fast ausschließlich als der Fußballer Peter Niemeyer wahrgenommen. Das fällt weg, jetzt bin ich einfach Peter Niemeyer – das ist aber alles andere als tragisch.
Haben Sie mal darüber nachgedacht, dem Fußball komplett den Rücken zu kehren?
Ja, schon. Der Gedanke, an einem Samstag den Rasen zu mähen und auf den Wochenmarkt zu gehen oder sonntags Familienausflüge zu machen, ist durchaus reizvoll. Aber den Gedanken habe ich relativ schnell wieder verworfen, weil mir der Fußball so viel gibt. Darauf kann und will ich nicht verzichten.
Wie geht’s jetzt für Sie weiter?
Ich bin da noch in der Findungsphase. Ich probiere viele Dinge aus, aktuell schaue ich den Verantwortlichen von Twente Enschede über die Schultern, um die Strukturen eines professionellen Fußball-Clubs kennenzulernen. Das sind sehr interessante Einblicke, ich sauge viele neue Dinge auf, probiere mich aus und versuche herauszufinden, worauf ich Bock habe. Ich bin 30 Jahre lang dem Ball hinterher gerannt, weil es meine Leidenschaft war. Das ist vorbei, jetzt suche ich mir eine neue Leidenschaft.
Eine Ihrer Leidenschaften war auch der SV Werder.
Stimmt. Das gilt aber für alle meine Ex-Vereine.
Mit welchem Ihrer Ex-Clubs ist die Identifikation am größten?
Das klingt nach Ausflüchten, aber da kann ich mich echt nicht festlegen. Ich habe aus allen Vereinen so viele positive Dinge mitgenommen und ich bin stolz darauf, dass ich bei allen Clubs erhobenen Hauptes zur Vordertür heraus marschiert bin. Da gibt es kein Ranking oder so.
Aber nur mit Werder haben Sie einen Titel gewonnen – 2009 den DFB-Pokal.
Richtig, aber für mich persönlich ist der Aufstieg mit der Hertha als Kapitän in die Bundesliga nicht weniger von Bedeutung. Den größten sportlichen Erfolg hatte ich bei Werder, ja. Da durfte ich in der Champions League spielen, im Finale des Uefa-Cups, im DFB-Pokal-Endspiel, das wir sogar gewonnen haben – aber bei Werder hatte ich nicht die Rolle, wie ich sie bei der Hertha oder in Darmstadt hatte. In Bremen war ich Mitläufer, in Berlin und in Darmstadt bin ich vorne weg marschiert.
Was bleibt von Ihrer Bremer Station in besonderer Erinnerung?
Das Zwischenmenschliche. Ich habe in Bremen viele Menschen kennengelernt, die mir auch heute noch wichtig sind. Mit Clemens Fritz, Per Mertsacker, Basti Prödl und Martin Harnik bin ich befreundet, zu Christian Vander und Torsten Frings habe ich auch noch einen sehr guten Draht.
Im Sommer wären Sie beinahe wieder bei Werder gelandet – als Routinier in der U23. Warum wurde daraus nichts?
Ich hatte mit Björn Schierenbeck und Frank Baumann darüber gesprochen, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte. Aber das steckte in Kinderschuhen, ich hatte andere Pläne und konkreter wurde es dann auch nicht.
Sie haben selbst mal gesagt, aus limitiertem Talent das Maximale herausgeholt zu haben.
Ausrufezeichen (lacht)! Das ist wirklich so. Ich glaube wirklich, fußballerisch das Beste aus meinen Möglichkeiten gemacht zu haben. Ich habe Fußball immer arbeiten müssen.
Torsten Frings war auch so ein Fußball-Arbeiter…
Absolut! Aber er war mit mehr Talent gesegnet als ich.
Und Frings war der Chef bei Werder, als Sie von Twente Enschede nach Bremen gewechselt sind. Wie war das für Sie, als junger Spieler vom „Lutscher“ lernen zu dürfen?
Von einem Kaliber wie Torsten Frings kann sich sicherlich jeder junge Spieler etwas abschauen. Demut und auch ein bisschen Ehrfurcht sind dabei wichtig, das geht dem Nachwuchs heutzutage leider immer mehr ab. Aber vor Torsten Frings hatte ich wirklich riesigen Respekt, als ich neu bei Werder war. Vielleicht sogar zu viel, um im Training mit vollem Einsatz dagegenzuhalten. Ich habe damals Ballsäcke über beide Schultern getragen, irgendwie noch den Wasserkasten umklammert, um einen guten Eindruck zu machen und trotzdem noch ehrfürchtig gezittert, wenn ich Torsten einen Ball aus dem Netz anreichen durfte (lacht). Im Ernst: Wenn du im Mittelfeld von Torsten Frings und Tim Borowski flankiert wirst, geht dir schon ein bisschen die Düse.
Später wurde Torsten Frings sogar Ihr Trainer…
Das hatte ich als junger Spieler so sicher nicht geplant (lacht). Torsten und ich verstehen uns aber sehr gut. Er ist ein super Trainer, es war eine tolle Zusammenarbeit.
Sprechen wir wieder über die Karriere nach der Karriere: Sie haben einen Anschlussvertrag bei der Hertha.
Ja, aber wir haben den Start um ein Jahr verschoben. Im Sommer geht’s los.
Und was werden Sie bei der Hertha machen?
Das ist noch gar nicht final kommuniziert, aber ich möchte mich gerne im Managementbereich fortbilden. Details werde ich mit Michael Preetz im nächsten Jahr besprechen.
Sie waren kürzlich als Experte beim Internet-TV-Sender DAZN im Einsatz. Wäre das auf Dauer etwas für Sie?
Das war spannend, sich auch mal diese Seite des Fußballs anzuschauen. Ich glaube, die Leute haben sich gefreut, dass ein in Anführungsstrichen Holland-Experte Ajax gegen PSV co-kommentiert hat. Das hat Spaß gemacht. Bei Sky war ich neulich auch als Zweitliga-Experte zu Gast – interessante Einblicke, aber hauptberuflich ist das eher nichts für mich.
Den Taktik-Experten Peter Niemeyer wird es also nicht geben?
Das ist auch nicht mal eben so gemacht. Ich habe 30 Jahre auf dem Platz gestanden, insofern würde ich ja schon behaupten, dass ich ein gewisses Verständnis für den Fußball mitbringe. Aber es ist schon ein großer Unterschied, ob du im Spielfeld taktisch arbeitest und die Abläufe kennst und gewisse Schablonen im Kopf hast oder du das Spiel taktisch von außen beurteilen sollst. Von außen macht es dann auch noch mal einen Unterschied, ob du dicht am Spielfeldrand stehst oder unterm Dach sitzt. Die Perspektive ist dann eine andere und auch das Tempo des Spiels. Das ist eine Umstellung für mich, daran muss ich mich noch gewöhnen, wenn es um die Spielanalyse geht.