Eben noch auf der gut ausgebauten Landstraße, dann einmal abgebogen, und das Bild verändert sich. Schlagartig. Beeindruckend. Bedrückend. Windschiefe Hütten. Viel Wellblech. Viel Backstein. Männer, die vor den Behausungen auf offenem Feuer grillen, die Fernseher reparieren, die freundlich winken. Frauen, die Ziegen über den schmalen Gehweg führen. Und Kinder.
Viele von ihnen winken dem großen Bus zu, der sich ob des dichten Gedrängels nur langsam auf der staubigen Sandstraße vorwärtsbewegen kann. Während des Trainingslagers in Südafrika hat Werder Bremen am Dienstagnachmittag den nördlichen Johannesburger Stadtteil Diepsloot besucht, um sich dort ein soziales Fußballprojekt anzusehen. Willkommen im Township.
Profis mit nachdenklichen Mienen
Ein paar Fakten vorab: Diepsloot, das 1995 zunächst nur als Durchgangslager für Menschen aus anderen Armenvierteln gegründet worden war, hat heute rund 200.000 Einwohner. Ihr Leben ist geprägt von extremer Armut, von Gewalt, Kriminalität und Perspektivlosigkeit.
Claudio Pizarro, Max Kruse und ihre Mitspieler konnten sich davon während der rund 20-minütigen Fahrt durch Diepsloot einen ersten, aber doch tiefgehenden Eindruck machen. Mit nachdenklichen Mienen stiegen die Werder-Profis aus dem Bus. Sie hatten ihr Ziel erreicht.
„Toll zu sehen, wie Kinder drauf sind“
Ein Kunstrasenplatz, vier Flutlichtmasten, die Torpfosten strahlend weiß. Dazu zwei Container, vereinzelte Sonnenschirme und einige mobile Toiletten – das ist das „Amandla Safe Hub“, ein Ort, an dem der Werder-Tross bei strahlendem Sonnenschein von 150 Kindern und Jugendlichen empfangen wurde.
Alle im Alter zwischen acht und 14 Jahren, und alle mit großer Lust auf Fußball. „Es ist toll zu sehen, wie gut die Kinder drauf sind“, freute sich Ludwig Augustinsson, „ihr Leben hier ist wirklich nicht gut, da wollen wir wenigstens ein bisschen helfen.“ Als er das sagte, hatte der Linksverteidger gerade das Begrüßungsritual samt lokalem Tanz hinter sich gebracht. In den folgenden 60 Minuten trainierten die Bremer Stars mit den Kindern. Sie zeigten ihnen Tricks. Sie hörten sich kurze Geschichten an. Sie lachten. All das vor den zufriedenen Blicken von „Safe Hub“-Gründer und Geschäftsführer Florian Zech.
Fußball als Werkzeug
2006 war der Oberbayer für seinen Auslandszivildienst nach Kapstadt gekommen, er lebte ein Jahr lang in Khayelitsha, einem der größten Townships Südafrikas – und beschloss, im Land zu bleiben. Mit einigen Männern aus Khayelitsha entwickelte er die Idee für die „Amandla Safe Hubs“, von denen es heute drei Stück in Südafrika gibt.
Sieben befinden sich noch im Bau, bis 2024 sollen es 30 sein. Die Idee hinter dem Projekt erklärt Zech so: „Wir wollen den jungen Menschen in den Townships Chancen bieten. Fußball ist in allererster Linie das Werkzeug dazu, sie anzuziehen und zusammenzubringen.“ Und in der Tat: Dass Fußball verbindet, war während Werders Besuch im „Safe-Hub“ bestens zu beobachten.
Welt für kurzen Moment in Ordnung
Schon nach kurzer Zeit lag eine besondere Stimmung über dem Platz, gelöst, zugewandt, herzlich – Profis und die Kinder von Diepsloot schienen in gleichem Maße von ihrer Begegnung zu profitieren. „Dieser Besuch öffnet die Augen. Jeder Einzelne von uns ist jetzt noch dankbarer für das, was wir haben“, sagte Nuri Sahin. „Wenn alle mit anpacken, dann können wir den Menschen helfen, die Hilfe brauchen“, betonte Sahin. Dann musste er los.
Auf dem großen Abschiedsfoto wollte er nicht fehlen. Unzählige Menschen sind es, die sich auf dem Bild dicht an dicht zusammengestellt haben. Sie lächeln alle. An Armut, Gewalt, Kriminalität und Perspektivlosigkeit dürfte keiner gedacht haben, als die Auslöser der Kameras klickten. Mitten in Diepsloot, auf einem Kunstrasenplatz, war die Welt plötzlich für einen kleinen Moment vollkommen in Ordnung.