Es war ein Kellerduell, eines dieser Spiele, in das alles hineingeworfen werden muss. Werder Bremen wollte genau das gegen Mainz 05 machen. Doch die Partie wurde zum sportlichen Offenbarungseid. Mit 0:5 (0:4) verlor der Tabellen-15. der Bundesliga im eigenen Stadion und lieferte dabei eine historisch schlechte erste Halbzeit ab. Robin Quaison mit drei Toren (10., 24., 38.) sowie eine tragikomische Eigentor-Koproduktion von Milos Veljkovic und Jiri Pavlenka (15.) sorgten für den höchsten Pausenrückstand in der Bremer Bundesliga-Historie. Jean-Philippe Mateta setzte spät noch einen drauf (82.).
Durch die Pleite wird sich auch die Diskussion um Trainer Florian Kohfeldt verschärfen. Am Samstag geht es für die Bremer noch nach Köln – eine letzte Chance noch, vor der Winterpause den Eindruck zu verwischen, dass sich diese Mannschaft im freien Fall Richtung Liga zwei befindet.
Bremer nach 19 Minuten mit 0:3 hinten
Auf zwei Positionen besetzte der Werder-Coach seine Startelf im Vergleich zum Spiel gegen Bayern München neu. Innenverteidiger und Kapitän Niklas Moisander meldete sich fit, ebenso Mittelfeldmann Leo Bittencourt. Wichtiger als die Änderungen auf dem Spielberichtsbogen, war es jedoch, die Änderung in den Köpfen der Spieler herbeizuführen. „Wir müssen nach dem enttäuschenden 1:6 in München eine Reaktion zeigen“, hatte Sportchef Frank Baumann gefordert. Und die Fans in der Ostkurve formulierten ihre Botschaft an die Mannschaft auf einem Banner so: „Zerreißt euch für das Trikot mit der Raute!“
Aber: Die einzigen, die dann etwas zerrissen, waren die Mainzer: Und zwar zerrissen sie von Anfang an konsternierte Bremer in der Luft. 3:0 führten die Gäste nach nur 19 Minuten – es war ein Fiasko unvorstellbaren Ausmaßes für das Kohfeldt-Team.
Nicht in Worte zu fassen
Wo war der Lerneffekt nach dem Bayern-Spiel? Wo die eingeforderte Reaktion? Wo die Ordnung in der Defensive? Wo der Wille, etwas zu erzwingen? Wo die giftigen Zweikämpfe? Alles nicht vorhanden! Zählt man von der 44. Minute des Bayern-Spiels bis zur 19. Minute gegen Mainz, so kassierten die Bremen in 70 Minuten (inklusive Nachspielzeiten) neun Gegentore. Am Ende
Gängige Begriffe wie desolat, desaströs, blamabel oder kläglich reichen kaum aus, um zu beschreiben, was Werder vor 41.000 Zuschauern im Weserstadion zeigte. Und es begann in der zehnten Minute. Der Ex-Bremer Levin Öztunali passte aus dem Zentrum steil auf Robin Quaison, der unbedängt verwandelte.
Inkompetenz und Pech
Das 0:2 folgte wenig später und war so etwas wie die Verquickung von Inkompetenz und Pech. Eine Öztunali-Flanke bugsierte Veljkovic unbeholfen mit dem linken Knie an den Pfosten des eigenen Tores, von wo der Ball an den Rücken von Keeper Jiri Pavlanka prallte – drin (15.). Geht‘s noch schlimmer? Nein geht es nicht. Auch wenn die Szene sicherlich unglücklich war, blieb ein Eindruck doch unumstößlich bestehen: Werder machte sich nach allen Regeln der Kunst lächerlich. Alle Probleme, die diese Mannschaft mit sich schleppt, zeigten sich mit brutaler Vehemenz
Nicht nur wegen des 0:2, sondern weil die Bremer Defensive absolut plan- und hilflos wirkte. Siehe auch das 0:3. Boetius passte durch die Abwehrkette, Quaison verwandelte (19.). Wieder waren die Bremer nur staunende Statisten. Und dann auch noch das: 0:4 nach einer Standardsituation – mal wieder. Und Quaison am langen Pfosten so alleine gelassen, als hätte er eine hochansteckende Krankheit.
Trainer Kohfeldt ist angezählt
Die Bremer Fans, die direkt nach dem 0:1 noch eine positive Reaktion gezeigt und das Team angefeuert hatten, waren längst umgeschwenkt. Pfiffe gellten durch das Stadion. Die Illusion, das 0:1 gegen Paderborn und das 1:6 gegen die Bayern wären nicht das wahre Bremer Gesicht gewesen, war allen genommen. Das ist keine Maske bei Werder, das ist die häßliche Realität. 0:4 zur Pause – das hatte es in der Bundesliga-Geschichte der Bremer noch nie gegeben. Nicht mal in der Abstiegssaison 79/80. 40 Jahre ist der bislang einzige Gang in die zweite Liga her, und es ist seit Dienstagabend sehr, sehr denkbar, dass sich Geschichte wiederholen wird.
Klar ist: Die Horror-Halbzeit gegen Mainz raubt auch den Kohfeldt-Befürwortern die Argumente: Das war nicht Abstiegskampf, das war Aufgabe. Defensiv sowieso und offensiv auch. Ein demütigender Abend, der in dieser Form undenkbar schien.
Ja, klar ist: „Die Horror-Halbzeit gegen Mainz raubt auch den Kohfeldt-Befürwortern die Argumente.“ Gewiss, die Werder-Fans sind treuer als die meisten Fußballfans anderswo, aber irgendwann wird auch Werder reagieren müssen, wenn Niederlage auf Niederlage folgt, und den Trainer wechseln. Seine Ansprache an die Spieler macht zu 50% den Erfolg aus. Kann er sich da ändern? Kurzfristig? Ich jedenfalls sehe da noch eine Möglichkeit.
Mein Tipp dazu: Roberto Albanese ist zehnfacher Weltmeister mit seinem Lateintanzteam vom Grün-Gold-Club. Das ist doch schon einmal eine Hausnummer. Mögen eine Fußballelf und eine Tanzformation getrennte Welten sein – hier geht es um die richtige Ansprache eines Trainers an sein Team. Vielleicht schaut sich Florian Kohfeldt einmal an, wie sein Trainerkollege Roberto Albanese mit seinem Team umgeht. Ich möchte wetten, da geht ihm ein Licht auf. Vielleicht kann er sich davon sogar eine Scheibe abschneiden. Das Beste daran ist: Wenn ihm dessen Art nicht zusagt, und er soll und kann sich nicht verbiegen, dann bleibe er doch gleich im Tanzsaal und schaue Uta Albanese bei der Arbeit mit ihrer Tanzformation zu! Sie ist ebenfalls als Trainerin ungemein erfolgreich, auch ein Aushängeschild für Bremen.
Einfach einmal über den Tellerrand hinwegschauen und darüber staunen, was alles so möglich ist!
Martin Korol, Bremen
Congratulation to Relegation
Weiter so. Bremer im Exil freuen sich mit der erfolgreichsten CDU seit Jahren.
Nach den Exilbremer begeisternden Meldungen über die Millionenverluste der Zech-Reederei, den zurückgehenden Umschlagszahlen in den bremischen Häfen und dem sich in Bremen anbahnenden Industrierückgang, machte die 0:5-Heimpartie gegen 05 das I-Tüpfelchen eines der schönsten Tage im Jahr aus.