Der Jurist Ingo Schierenbeck ist seit Juli 2010 Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer. An sie zahlt jeder Bremer Beschäftigte 0,15 Prozent seines Bruttolohns.Foto: Schlie Der Jurist Ingo Schierenbeck ist seit Juli 2010 Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer. An sie zahlt jeder Bremer Beschäftigte 0,15 Prozent seines Bruttolohns. Foto: Schlie
Interview

„Wandel in Bremen erheblich“

Von
Arbeitnehmerkammer-Chef Ingo Schierenbeck über die Zukunft der Wirtschaft.

Weser Report: Herr Schierenbeck, Digitalisierung, Globalisierung und Klimawende werden die Arbeitswelt radikal verändern. Wie sehr ist Bremen darauf vorbereitet?

Ingo Schierenbeck: Bremen wird diese Veränderungen erheblich zu spüren bekommen. Denn die erhöhten Anforderungen an den Klimaschutz treffen im Wesentlichen die Industrie, und Bremen ist ein Industriestandort. Die Stahlwerke zum Beispiel werden ihre Produktion anpassen müssen. Mercedes hat schon begonnen, in Bremen ein Elektro-Modell zu produzieren. Doch ohne staatliche Unterstützung werden die Unternehmen in Bremen die Umstellung nicht realisieren können.

Subventionen für Unternehmen?

Direkte Subventionen würde ich erst einmal zurückstellen. Der Staat kann auch Forschungsprojekte unterstützen, die dazu führen, dass Unternehmen den Klimaschutz verbessern können. Und der Staat muss verhindern, dass der Wettbewerb verzerrt wird. Unternehmen aus Ländern ohne vergleichbaren Klimaschutz können billiger produzieren, dürfen mit diesen Waren aber nicht unseren Markt überschwemmen. Das könnte die EU mit zusätzlichen Abgaben oder Importkontingenten erschweren.

Globalisierung führt doch zu mehr Handel, davon profitiert auch Bremen, oder nicht?

Wenn der Wettbewerb nicht verzerrt wird, ja. Durch seine maritime und exportorientierte Wirtschaft hat Bremen bisher von der Globalisierung profitiert. Jede Einschränkung des globalen Handels träfe Bremen besonders hart. Deshalb ist es wichtig, die Wirtschaft zu diversifizieren, also breiter aufzustellen. Bremen muss mehr Dienstleistungen, die auch ortsgebunden sind, ansiedeln.

CDU und FDP haben schon den früheren Senat aufgefordert, einen Masterplan Dienstleistungen aufzustellen.

Den Vorschlag haben wir sehr unterstützt, denn bisher gibt es nur einen Masterplan Industrie. Wir brauchen beide. Die aktuelle Koalition hat sich in ihrem Vertrag verpflichtet, einen Masterplan Dienstleistungen zu entwickeln. Das wird auch höchste Zeit. Er muss aber mit konkreten Maßnahmen hinterlegt werden.

An welche Maßnahmen denken Sie?

Die Wirtschaftsbehörde muss sich angucken, wo in den nächsten Jahren voraussichtlich Beschäftigung entstehen wird. In anderen Metropolen entwickeln die wissensintensiven Dienstleistungen eine besondere Dynamik.

In Bremen arbeiten nur knapp 34 Prozent der Beschäftigten in wissensintensiven Bereichen, in Stuttgart zum Vergleich sind es fast 52 Prozent und in Berlin 46 Prozent.

In Bremen sind zu wenig Konzernzentralen angesiedelt. Dort sind in der Regel auch die wissenschaftlichen Abteilungen angesiedelt und nicht an den Produktionsstandorten. Wir müssen in Bremen die Ansiedlung von Startups und unternehmens-unabhängigen Wissensbereichen verstärken. Das wird noch nicht ausreichend in den Blick genommen.

Finden wissensintensive Dienstleister in Bremen genügend Mitarbeiter?

Wir haben die Universität, Hochschulen, Forschungsinstitute und weitere Bildungs- und Studienangebote. Aber viele Studierende verlassen nach dem Abschluss die Region. Wenn sie hier Beschäftigung fänden, blieben sie eher hier.

Trotz eines zehnjährigen Konjunkturhochs weist Bremen noch relativ viele Arbeitslose auf. Warum?

Bremen verfügt immer noch über die höchste Quote an arbeitslosen jungen Menschen ohne Berufsausbildung. Wir müssen mehr jungen Menschen eine Berufsausbildung ermöglichen.

Viele Betriebe suchen verzweifelt Auszubildende.

Im Land Bremen sind zu Beginn des Ausbildungsjahres 200 Ausbildungsplätze unbesetzt, aber 700 bei der Agentur für Arbeit registrierte Jugendliche haben keinen Ausbildungsplatz gefunden. Dabei handelt es sich um Bewerber, die über die notwendige Eignung und den erforderlichen Schulabschluss für den angestrebten Beruf verfügen.

Müssen nicht Bremens Schulen besser und damit ihre Abschlüsse höherwertiger werden?

Das ist unstrittig. Das bedeutet aber auch einen höheren Aufwand. Dafür muss auch das Geld zur Verfügung stehen. Und mit Schulabschluss und Berufsabschluss ist es nicht mehr getan. Man muss heute permanent seine Qualifikationen auf den neuesten Stand bringen. Deshalb muss auch die Weiterbildung erheblich verbessert werden. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Wer während seiner Beschäftigung freigestellt wird, um sich weiter zu qualifizieren, muss staatliche Unterstützung in Form einer Lohnfortzahlung erhalten.

Wie verändert sich der Arbeitsalltag?

Das stationäre Arbeiten wird abnehmen. Mobile Arbeit ist auch im Interesse vieler Beschäftigter, weil sie dann Beruf und Freizeit besser miteinander vereinbaren können. Die Gefahr besteht darin, dass die Grenze zwischen beiden Bereichen verschwimmt, wenn man 24 Stunden erreichbar ist. Auch das Angebot an begrenzten Aufgaben wird zunehmen, die vermehrt übers Internet ausgeschrieben werden. Wann ist der, der solche Arbeiten übernimmt, Arbeitnehmer und wann Selbstständiger? Da fehlen im deutschen Arbeitsrecht noch Regelungen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert.

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