Hosen, Pullover, Jacken: Rund 1,35 Millionen Tonnen Textilien werden jedes Jahr in Deutschland aussortiert. Laut einer Studie der Umweltschutzorganisation Greenpeace hat jeder Erwachsene hierzulande im Schnitt 95 Kleidungsstücke im Schrank – so viele wie nie zuvor. Rund 60 neue Teile kommen jedes Jahr dazu, davon wird laut Greenpeace ein Großteil selten oder gar nicht getragen.
„Es wird so viel weggeschmissen“, findet auch Aenne Reher. „Dabei könnte man die Ressourcen, die man hat, besser nutzen“, ist sie überzeugt. Die Bremerin hat ein Label für Kinderkleidung gegründet und setzt dabei auf Nachhaltigkeit: Sie recycelt Erwachsenenkleidung und näht daraus neue Stücke.
Im ersten Leben Bankkauffrau
Aenne Reher kann sich noch gut an ihr erstes selbstgenähtes Kleidungsstück erinnern: ein Rock, mit dem sie als junges Mädchen so gar nicht zufrieden war. „Ich wollte den niemandem zeigen“, lacht sie. Doch die damals Zehnjährige ließ sich nicht entmutigen und fand im Nähen ihre Leidenschaft. „Ich wusste schon mit zwölf, was ich werden will“, erinnert sie sich.
Es folgten Ausbildung und Meisterbrief, die Arbeit als Schneiderin. Doch die Bekleidungsindustrie steckte in einem konjunkturellen Tief, und so entschied sich Reher für eine Umschulung zur Bankkauffrau. „Das war nicht mein Traumjob“, sagt sie. Das Nähen fehlte der Bremerin und als sie ihr erstes Kind bekam, widmete Aenne Reher sich wieder der Nähmaschine. „Es macht mir so viel Spaß, für Kinder zu nähen“, sagt sie.
Unikate aus hochwertiger Kleidung
Zunächst verkaufte sie ihre Kleidung in einem benachbarten Secondhandladen, in dem sie als Schneiderin aushalf. „Ich hatte so viele eigene Ideen.“
Als ihr Arbeitgeber den Banken-Standort schließlich schloss, nutzte Aenne Reher die Gelegenheit, um ihre Selbstständigkeit in Angriff zu nehmen und ihr eigenes Label zu gründen. Heute entwirft und näht sie Kleidung für Kinder bis zehn Jahre. Ihre Stücke sind allesamt Unikate, die aus hochwertiger, ausrangierter Erwachsenenkleidung entstehen.
Aus einer Erwachsenenhose werden so beispielsweise zwei neue Kinderhosen. Auf der Suche nach geeigneten Stoffen und Kleidungsstücken wird sie häufig auf Flohmärkten oder in den Beständen ihrer Freunde und Kunden fündig. Diese Stoffe recycelt Reher und kombiniert sie mit neuen Mustern.
Verkauf in Pop-up-Stores und auf Märkten
Dahinter steckt eine Philosophie, denn: „Es dauert viel länger, aus alter Kleidung etwas zu nähen“, sagt die Bremerin. Es liege ihr einfach am Herzen, aus vorhandenen Ressourcen etwas zu schaffen. „Ich war schon immer sehr umweltbewusst.“
Nur ganz wenige Teile sind komplett aus neuen Stoffen genäht. Darunter ihr absoluter Bestseller: ein Kleid mit einem großen Pferd und Gummistiefeln drauf. Ihre Kleidung unter dem Label Aennes Herzblut verkauft die Gründerin vor allem auf Märkten und in Pop-up-Stores, Läden, die nur befristet an einem Standort sind.
Dafür muss Aenne Reher oft binnen weniger Tage 40 Kleidungsstücke und mehr nähen, so wie für den Bremer Weihnachtsmarkt. Auch wenn die Unternehmerin nach einem halben Jahr Selbstständigkeit noch nicht davon leben kann, ist sie froh, diesen Schritt gegangen zu sein.
von Insa Lohmann