Frage: Herr Scherf, Sie sprechen bei einer Veranstaltung des Lions Fördervereins über die älter werdende Gesellschaft? Sie selbst leben schon seit über 30 Jahren in einer Senioren-Wohngemeinschaft. Sie werben für diese Wohnform und haben auch einige Bücher zum Thema verfasst. Wann sollte man damit beginnen, ans Alter zu denken?
Henning Scherf: Wann ist man alt? Da zählen nicht allein Jahreszahlen, es geht doch darum, wie man sich fühlt. Bei uns war entscheidend, dass die Kinder aus dem Haus waren, sie hatten ihr Abitur gemacht und sind danach aus Bremen weggezogen. Da wollten wir etwas Neues machen, etwas das hält, bis zum Ende des Lebens. Als Senior fühle ich mich, obwohl ich bald 82 werde, nur gelegentlich – wenn ich mal müde und erschöpft bin. Wenn ich mich aufs Fahrrad setze oder einen nach dem anderen Vortrag halte, dann komme ich mir überhaupt nicht alt vor.
Senior ist man also nicht vom Moment an, an dem man sich beruflich zur Ruhe setzt?
„Frühzeitig daran denken, was man später tun möchte“
Die Vorstellung, dass man durch ist mit seinem Beruf und sich dann in die Ecke setzt, um auf die Abendnachrichten zu warten, die ist gräuslich. Ich rate den Leuten immer, daran zu denken, was sie nach der Berufstätigkeit tun wollen – und dieser Zeitraum wird ja immer länger. Da kann man vielleicht Aufgaben übernehmen, für die früher nie Zeit war oder etwas Neues beginnen. In dieser neuen Freiheit als Rentner, kann man sich neu erfinden. Denjenigen, denen das gelingt, denen geht es übrigens viel besser, als anderen, die nur schauen und sagen, „früher war alles besser“.
Sie leben seit 1987 in einer Wohngemeinschaft mit Gleichaltrigen. Wie schaffen Sie es, dass es so lange hält, mit wem macht man so ein Projekt?
Mit guten Freunden. Ich habe schon im Krieg als Kind gelernt, mein Vater saß als politisch Verfolgter im KZ, meine Mutter war typhuskrank und in Quarantäne, wir sechs Geschwister lebten mit unserer Oma, dass man in schwieriger Lage nur überstehen kann, wenn man mit mehreren ist, dass man zusammenhalten muss und das da jemand ist, der einen beschützt. Das hat sich später so weiterentwickelt. So war die Idee, eine WG mit Freunden zu gründen, nicht aus blauem Himmel gekommen. Man muss vorher reden, reden, reden. Wir haben zusammen Urlaub gemacht. Drei Jahre haben wir diskutiert und dann hat es noch ein Jahr gedauert, bis das Haus umgebaut war.
Ihre eigene Wohngemeinschaftserfahrung war dafür auch wichtig?
Eine WG braucht Rückzugsmöglichkeiten für jeden
Das ist etwas ganz anderes, als in der Studentenzeit. Wir hocken nicht alle in einem Raum und pallavern. Wer lebenslang zusammen wohnen will, muss auch Rückzugsmöglichkeiten vorsehen. Das haben wir uns alles zurechtgelegt, schrittweise, und dann in diesem Haus an der Rembertistraße umgesetzt.
Eine Vorbildfunktion hatten Sie auch in Ihrer Zeit als Bremer Bürgermeister. Fehlen heute vorbildliche Politiker, denen es auch um Bürgernähe geht?
Es ist immer schwieriger geworden, sich als Politiker Reputationen zu erarbeiten. Mir tun die manchmal leid, die das heute aushalten müssen. Jeder hat für seine Zeit ein großes Stück Arbeit zu schaffen. Wir brauchen die – die heute verantwortungsvoll handeln.
Wenn Sie nach Osterholz-Scharmbeck kommen, entstehen immer wieder Erinnerungen?
Ja, ich war mit meiner Familie als ausgebombtes Kind zu meiner Großmutter in die Teichstraße geflüchtet. Dort habe ich das Kriegsende erlebt und bin an der Menckeschule eingeschult worden, Osterholz-Scharmbeck gehört zu meiner Biographie.
Bremens Altbürgermeister spricht am Donnerstag, 5. März, ab 19.30 Uhr, auf Einladung des Lions Fördervereins Worpswede im Saal der Volksbank, Marktstraße 1 – 5, über die älter werdende Gesellschaft. Karten gibt es zum Preis von 5 Euro in der Bäckerei Rolf, Bahnhofstraße 57 B und in der Buchhandlung „Die Schatulle“, Bahnhofstraße 98. Die Einnahmen werden für das humanitäre Kunstprojekt „Pan y Arte- Brot und Kunst für Nicaragua“ (www.panyarte.de) gespendet.