Besonders hat getroffen von den Einschränkungen aufgrund des Corona-Virus sind Menschen aus der Kultur- und Kreativszene. Zumal sie häufig Selbstständig sind, die nun ohne Aufträge und Einkommen darstehen. Wir sprachen mit mehreren kreativen Menschen über Ihren Umgang mit der Situation. So auch mit Johannes Mitternacht, Schauspieler und Theaterpädagoge.
Delme Report: Herr Mitternacht, belastet Sie die Corona-Zeit?
Johannes Mitternacht: Anfangs hat es mich sehr belastet, dass mit einem Schlag mein gesamtes soziales Leben zusammengebrochen ist. Vor den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie war ich drei Monate krank. Als dann Mitte März das gesellschaftliche Miteinander völlig heruntergefahren wurde, hatte ich schon eine lange Zeit körperlich verordneter Kontaktbeschränkung hinter mir. Außerdem musste ich meinen Urlaub abbrechen, den ich dringend nötig gehabt hätte. Stattdessen war ich gezwungen, an den Ort zurückzukehren, von dem ich eigentlich gerade mal Abstand bekommen wollte.
Sie sagen, dass Ihr gesamtes soziales Leben zusammengebrochen ist?
Auf einmal gab es keinerlei Strukturen mehr, auf die ich zurückgreifen konnte. Keine Aufträge. Keine Anfragen. Keine Treffen mit Freunden. Kein öffentliches Leben. Ich war die ersten sechs Wochen kaum in der Lage, auch nur irgendetwas Produktives zu machen, geschweige denn zu arbeiten. Ich habe die Zeit gebraucht, um mich mit dem Geschehen um das Virus auseinanderzusetzen. Es ist schwer, Ungewissheit zu ertragen. Besonders in der Isolation.
Was vermissen Sie momentan am meisten?
Meine Arbeit vor und mit dem Publikum fehlt. Faktisch unterliege ich als Schauspieler seit Mitte März einem Berufsverbot. Zwar ist das inzwischen generell aufgehoben, aber wie und wann es unter den immer noch gegebenen Einschränkungen für mich wieder möglich ist, so vor Publikum aufzutreten, wie es meine Arbeit erfordert, bleibt ungewiss. Die Begegnungen mit Freunden und Familie hingegen sind, wenn auch auf Abstand, sowohl analog wie auch in den digitalen Medien die ganze Zeit hindurch irgendwie erhalten geblieben. Das regelmäßige persönliche Beisammensein vermisse ich aber sehr.
Nutzen Sie die Zwangspause mittlerweile kreativ?
Inzwischen habe ich glücklicherweise zu neuen kreativen Strukturen und Ausdrucksformen gefunden. Beispielsweise in einem Buchprojekt. Da habe ich gerade den Eindruck, dass mir ein Durchbruch gelungen sein könnte. Ich bin dabei, eine neue Figur zu entwickeln. Als eine Reaktion auf die Krisensituation tauchte sie vor einigen Wochen bei mir auf und kommt mich seitdem immer mal wieder besuchen. Wir arbeiten jetzt gelegentlich zusammen. Wenn dabei etwas Brauchbares ensteht, kann ich vielleicht endlich ein Solo-Programm mit eigenen Texten verwirklichen. Das steht schon lange auf meiner Wunschliste. Jedenfalls geht es wieder voran und ich bin neugierig darauf, wie es sich weiter entwickelt.
Also können Sie Corona beziehungsweise den Maßnahmen auch etwas positives abgewinnen?
Ja, das erzwungene Innehalten. Die Erkenntnis, wie unsicher unsere Existenz ist. Normalerweise betrifft uns das individuell, nun teilen wir alle gemeinsam ein kollektives Erlebnis. Zwar reagiert jeder in seiner eigenen Weise auf Angst und Unsicherheit. Manche erkennen die Situation auch nicht an oder deuten sie ganz anders, wenn sie beispielsweise meinen, all die Maßnahmen wären überzogen. Wir haben jetzt die Möglichkeit, für uns herauszufinden, was uns wichtig ist.
Was ist das bei Ihnen?
Am Anfang der Pandemie habe ich mir gesagt, ich werde für den Rest meines Lebens nie wieder anderen Menschen die Hand geben geschweige denn, sie umarmen. Aber das ist es, wonach ich mich am allermeisten sehne: so bald wie möglich andere Menschen wieder umarmen und ihnen, nicht nur in geistiger Verbundenheit, nahe sein.
Im Zusammenhang mit den teilweisen Lockerungen ist immer wieder von einer „neuen Normalität“ die Rede. Wie geht es Ihnen damit?
Ich finde diesen Begriff furchtbar. Auf digitale Kulturangebote und Auto-Gottesdienste kann ich genauso verzichten, wie auf Museums- oder Ausstellungsbesuche, in denen ich einen Mundnase-Schutz tragen muss. Theateraufführungen unter solchen Bedingungen sind für mich völlig undenkbar.
Was wollen Sie „nach Corona“ unbedingt machen?
So unvorstellbar für mich solch eine Situation mit so massiven Eingriffen in unsere persönliche Freiheit war, fällt es mir momentan sehr schwer, daran zu denken, dass es einmal wieder eine Zeit nach oder völlig ohne Corona geben wird. Roger Willemsen spricht vom Knacks, den wir durch gewisse Ereignisse in unserem Leben bekommen. Corona wird uns für den Rest unseres Daseins begleiten. Egal, ob uns das nun bewusst ist oder nicht.