Wo kommen Museumsstücke eigentlich her? Wurden sie rechtmäßig erworben? Gibt es Anlass, Stücke an Ursprungsländer, -kulturen oder -familien zurückzugeben? Dies sind Fragen, mit denen sich Forscher innerhalb des sperrig betitelten Feldes der Provinienz beschäftigen. Ihre Aufgabe ist es, die Geschichte hinter den einzelnen Artikeln eines Museums- oder Ausstellungsmagazins herauszufinden. Ihr Augenmerk liegt dabei auf der Seite der Moral. Dr. Marcus Kenzler ist seit 2011 als Provinienzforscher am Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg beschäftigt und konnte jüngst einen großen Erfolg in seiner Tätigkeit verbuchen.
Erst vor kurzer Zeit kam das Paket mit dem antiken Lavabokessel, einem altertümlichen Utensil zur Handwäsche, bei Martin Goldsmith in den USA an. Allein in Amerika sei es über sieben Wochen unterwegs gewesen, wie Kenzler berichtet. Überhaupt sei die Suche nach einem Transportdienst alles andere als trivial gewesen: Die meisten hätten sich geweigert, Antiquitäten zu befördern, so Kenzler weiter. Letzten Endes wurde schlicht DHL mit dem Transport beauftragt. Diesem letzten Schritt waren zwei Jahre Arbeit des Provinienzforschers Kenzler vorangegangen. Er untersucht immer fünf bis sechs Fälle gleichzeitig auf ihre Vergangenheit, die Geschichte ihres Erwerbs und etwaiger rechtmäßiger Eigentümer.
Familie des Besitzers durch NS-Regime malträtiert
Bei dem Lavabokessel, der sich nunmehr in Martin Goldsmiths Besitz befindet, geht die Geschichte des Erwerbs auf die NS-Zeit zurück. Der Verkauf des mittelalterlichen Gefäßes fand durch Bertha Goldschmidt statt, die einer bekannten jüdischen Familie aus Oldenburg angehörte. Familie Goldschmidt war bereits ab März 1932 Repressalien und Übergriffen durch nationalsozialistische Funktionsträger ausgesetzt und musste ihr Haus weit unter Wert verkaufen. Die durch Verfolgung und Ausgrenzung zunehmende wirtschaftliche Not zwang die Familie zwischen 1932 und 1939 zu vier Umzügen und zum Verkauf eines Großteils ihres Hausstands. Bertha Goldschmidt gelang 1939 die Emigration nach England; ihre Eltern, Alex und Toni Goldschmidt, wurden in Auschwitz und Riga ermordet. Die Unrechtmäßigkeit des Erwerbs wird laut Landesmuseum unter anderem durch den auffallend niedrigen Verkaufspreis von 20 Reichsmark (etwa 80 Euro) deutlich. Martin Goldsmith ist in den USA ein bekannter Radiomoderator und Musikkritiker der Washington Post und der nächste Verwandte der Familie Goldschmidt.
Kenzler selbst bezeichnet den Abschluss des Projekts um den Lavabokessel als sensationell und berichtet, er habe seit dem Erscheinen eines entsprechenden Artikels in der Washington Post verschiedene rührende und wertschätzende Zuschriften aus den USA erhalten. Auch Goldsmiths eigene Reaktion sei durchaus emotional gewesen, bestätigt Kenzler. Der mittelalterliche Gebrauchsgegenstand ist einer der einzigen Gegenstände, die dem Moderator und Kritiker nun von seiner Familie geblieben sind.