Die Treppe hinauf in den ersten Stock knarrt mit jedem Schritt ein wenig. Das passt zum Stil des Hauses. Einerseits. „Geschäftsleute, die Wert auf Etikette legen, kaufen bei uns ein“, sagt Hausherr Cord Hesterberg. „Das ist Bremer Tradition.“ Seit 1915 sitzt Stiesing in der Sögestraße 35. Das Geschäft selber ist noch älter. Hermann Stiesing hat es 1895 gegründet als Herrenausstatter. Anderseits startet das Unternehmen im 125. Jahr seines Bestehens in eine neue Ära.
Hesterberg plant den Aufbau eines Online-Shops, schon im nächsten Jahr soll er öffnen. „Das wird mit Sicherheit nicht mein Kerngeschäft, überhaupt nicht“, dämpft der Chef aufkeimende Internet-euphorie. „Der stationäre Handel wird immer eine Zukunft haben“, ist sich Hesterberg sicher. „Aber man muss eine Mixtur machen. Du kannst nicht sagen, online will ich nicht.“
Als die meisten Einzelhändler im Frühjahr vorübergehend schließen mussten, hat Hesterberg schon ein bisschen geübt und etwa Hemden im Internet angeboten. Gemeinsam mit seinem Sohn und seiner Frau packte er eigenhändig die Pakete für die Kunden. 16.000 Euro setzte er damit um. „Das war nicht der Rede wert, aber ein wahnsinniger Aufwand“, sagt Hesterberg.
Internetvertrieb
Jetzt geht er den Internetvertrieb professionell an und holt einen „ITler“ dazu. „Ich werde im Internet erst einmal mit Artikeln anfangen, die sich leicht verkaufen lassen wie Polohemden, Shirts, Pullover, bestimmte Jacken und Hosen“, sagt der Stiesing-Chef. An Plattformen wie Amazon, Zalando oder Farfetech will er sich nicht anschließen. „Manche Plattformen wollen 35 Prozent vom Umsatz. Wovon soll ich dann leben?“
Schon sein Vater Gerhard Hesterberg, der durch die Heirat mit der Gründerenkelin Anne Stiesing, ins Geschäft kam, startete in den 1970er Jahren einen Modernisierungsschub. Er vergrößerte das Geschäft von 150 auf 900 Quadratmeter, die Wohnung im zweiten Stock baute er zu einem weiteren Verkaufsraum um, in den Nachbarhäusern mietete er Flächen an. Vor allem aber: Gerhard Hesterberg holte Sportswears in den Traditionsladen. Damenmode und Schuhe hatte der einst reine Herrenausstatter zuvor schon eingeführt.
Andere Konkurrenz
„Die Konkurrenz hat sich geändert“, sagt Cord Hesterberg. Früher habe es in der Bremer Innenstadt noch mehr Läden gegeben, die die klassische englische Kleidung angeboten hätten. Stiesing solle dieser Linie treu bleiben, versichert Cord Hesterberg und wird ein bisschen nostalgisch: „Früher gab es eine Art Kleiderordnung. In Versicherungen und Bank trug man Anzug oder Blazer mit grauer Hose. Heute heißt es bei Tagungen eher: Bitte keine Krawatte tragen.“
Da fühlt sich Hesterberg näher an Ladage & Oelke, dem Hamburger Traditionsgeschäft, das sich selbst als „englisches Kleidermagazin“ bezeichnet und einst auch Helmut Schmidt eingekleidet hat.
Jubiläumsfeier im nächsten Jahr
Das Konzept geht jedenfalls auf, wie Hesterberg versichert, der nach dem Abitur eine Einzelhandelslehre durchlief, bevor er zur LDT Akademie Fashion Management in Nagold ging. Heute hält er 90 Prozent der Firmenanteile, 10 Prozent besitzt sein Vater Gerhard, Cords Bruder Harm ist ausgeschieden. Den Umsatz mag Cord Hesterberg nicht beziffern, nur so viel verrät er: „Wir
schreiben schwarze Zahlen.“
Und im nächsten Jahr wird gefeiert. Eigentlich wollte Cord Hesterberg in diesem Herbst zum 125. Gründungsjahr einladen. Aber dann kam Corona.