Therapie im Wohnzimmer oder unterwegs per Videoschalte – die Telemedizin ist in Bremen zunehmend gefragt. Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen (KVHB) haben dort aktuell 544 Praxen eine Zulassung beantragt.
Ein großer Treiber dieser Entwicklung ist die Corona-Pandemie. „Der Anteil der Praxen mit Telemedizin ist durch Corona eindeutig gestiegen. Anfang 2020 haben das nur zwei Ärzte angeboten“, sagt KVHB-Sprecher Christoph Fox. Wie viele Praxen regelmäßig Sitzungen per Videoschalte anbieten, registriert die KVHB zwar nicht, aber sie erfasst die Zahl der Videoanrufe. Mit Beginn der ersten Corona-Welle im zweiten Quartal 2020 stieg die Zahl der medizinischen Videoanrufe auf 15.028. Zur Erinnerung: Anfang 2020 hatten in Bremen nur zwei Ärzte eine solche Beratung angeboten. Seit 2019 ist Telemedizin bundesweit möglich.
Videosprechstunden
Besonders Psychotherapeuten nutzen digitale Mittel laut KVHB verstärkt. Einer von ihnen ist der Bremer Psychotherapeut Johannes Lindner. „Immer wenn es sich anbietet, schlage ich meinen Patienten eine Videosprechstunde vor“, erklärt er. Das sei etwa der Fall, wenn Patienten krankheitsbedingt zu Hause bleiben oder in Zeiten mit hohen Infektionszahlen lieber den persönlichen Kontakt meiden wollten. „Auch wenn jemand auf Reisen oder nicht mehr mobil ist, bieten sich Videoanrufe an“, sagt Lindner.
Trotz der neuen Möglichkeiten steht der Therapeut der Telemedizin mit gemischten Gefühlen gegenüber. „Der persönliche Kontakt ist und bleibt der Goldstandard für ein Patientengespräch. Das gilt besonders für das Erstgespräch“, sagt er. Vor allem für seine Tätigkeit spiele es eine wichtige Rolle, den Patienten während des Gesprächs zu beobachten. „Körperhaltung, Körpersprache und Gefühlslage kommen im persönlichen Kontakt viel deutlicher rüber. Dazu kommt, dass es bei der Videotelefonie immer wieder Verzögerungen geben kann“, sagt Lindner, der Beisitzer in der Psychotherapeutenkammer ist.
Gemischte Gefühle
Zudem schaffe der Besuch bei einem Arzt oder Therapeuten ein größeres Bewusstsein für die eigenen Probleme. „Wenn ich zum Therapeuten gehe oder von einer Sitzung nach Hause fahre, verarbeite ich ein Gespräch ganz anders als zu Hause. Dort wird nur der Bildschirm zugeklappt und man wendet sich schnell wieder anderen Dingen zu“, warnt er.