Die promovierte Ärztin Kirsten Kappert-Gonther trat 2002 bei den Grünen ein, von 2011 bis 2017 saß sie in der Bürgerschaft, seit 2017 gehört sie dem Bundestag an. Foto: Meyer
Interview

„Direkte Folgen der Klimakrise“

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Wie die Grünen-Spitzenkandidatin Kirsten Kappert-Gonther die Medizin reformieren will

Weser Report: Frau Kappert-Gonther, in den Umfragen verlieren die Grünen an Zustimmung. Zuletzt fielen sie auf 17 Prozent, während die SPD auf 25 Prozent stieg. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für Ihren Wahlkampf in Bremen?

Kirsten Kappert-Gonther: Wir wollen, dass erstmals zwei Grüne aus dem Bremer Landesverband in den Bundestag einziehen. Dafür müssen wir in den 20-Prozent-Bereich kommen. Bei der Europa-Wahl 2019 haben wir in Bremen schon 22,7 Prozent erreicht. Und in den direkten Gesprächen merke ich, dass die Zukunftsfrage für viele Menschen der Klimaschutz ist.

Was heißt das für Sie als Gesundheitspolitikerin?

Klima und Gesundheit hängen zusammen. Die Klimakrise gefährdet unsere Gesundheit. Die Zahl der Hitzetoten steigt. Allergien, gerade bei Kindern, nehmen stark zu. Das alles sind direkte Folgen der Klimakrise. Das Verständnis dafür ist enorm gewachsen. Diese Zusammenhänge interessieren die Menschen im Wahlkampf.

Warum sinken dann die Umfragewerte für die Grünen?

Die Umfragen beziehen sich auf den Bund, nicht speziell auf Bremen. Bundesweit sind die Werte volatil. Wir hatten um die 20 Prozent, dann schnellten die Zahlen hoch, aktuell liegen wir wieder bei etwa 20 Prozent. Es gibt jetzt drei Parteien, die fast gleichauf sind: SPD, CDU/CSU und Grüne.

Was wollen Sie in der Gesundheitspolitik zuerst ändern, wenn die Grünen Teil der Regierungskoalition werden?

Ich würde als erstes die Gesundheitsförderung im Alltag in den Vordergrund stellen. Es gibt in vielen anderen Ländern eine viel stärkere Verankerung von der Vorstellung, dass man durch eine frühzeitige Förderung in Kita und Schule, aber auch in der Stadtentwicklung und in den Quartieren die Gesundheitschancen für die Menschen verbessern kann. In Deutschland steht dieser Ansatz noch nicht im Fokus. Dafür könnten die Gesundheitsämter, wenn man sie ordentlich ausstatten würde, einen erheblichen Beitrag leisten.

In der Diskussion stehen stets die Kliniken: Wie viele braucht man? Wie können sie kostendeckend arbeiten?

Die Finanzierung der Krankenhäuser muss reformiert werden. Grob gesagt so, dass nicht mehr nach Fallpauschale, sondern auch gemäß des gesellschaftlichen Auftrags finanziert wird. Der Bund kann mitbestimmen, was nötig ist, muss dann aber auch die Kosten mittragen. Es braucht verbindliche Vorgaben zur Personalbemessung und für die Behandlungsqualität. Um Patientinnen und Patienten dabei zu unterstützen direkt die für sie notwendige Behandlung zu erhalten, ist es sinnvoll, multiprofessionelle Gesundheitszentren in den Quartieren und Gesundheitsregionen zu fördern.

Wie groß ist das Interesse an solchen medizinischen Versorgungszentren?

Zunehmend mehr Ärztinnen und Ärzte wollen im Verbund arbeiten. Und die Vorstellung, dass eine junge Ärztin oder ein junger Arzt sich in einer eigenen Praxis niederlässt und dort 30 Jahre lang rund um die Uhr praktiziert und wenig Zeit für die Familie hat, ist nicht mehr zeitgemäß. Ärztinnen und Ärzte wollen flexibel arbeiten, auch in Teilzeit. Das ist in einem Zentrum besser möglich. Außerdem können dort mehrere Berufsgruppen unter einem Dach arbeiten, zum Beispiel die Orthopädin ebenso wie der Physiotherapeut. Das ist auch für die Versorgung der Patientinnen und Patienten gut.

Das große aktuelle Gesundheitsthema ist Corona. In Hamburg können Restaurantbesitzer und Konzertveranstalter jetzt entscheiden, ob sie nur noch Genese und Geimpfte in ihre Räume lassen, dann dürfen sie alle Plätze besetzen. Wenn sie auch Getestete hineinlassen, dürfen sie nicht alle Plätze besetzen. Ein Modell für die Zukunft?

Jede Person, die sich impfen lässt, tut etwas für sich und für andere. Jede nicht geimpfte Person wird sich über kurz oder lang mit dem Corona-Virus infizieren. Ich halte die 3G-Regel für gerechter, also Zugang für Geimpfte, Genesene und auch für Getestete. Weil dann nicht die Menschen ausgeschlossen werden, die sich nicht impfen lassen können, insbesondere in öffentlicher Infrastruktur, in Zügen und im ÖPNV. Auch in Bremen durfte eine Zeit lang jede Person in ein Restaurant unabhängig davon, ob sie überhaupt genesen, geimpft oder getestet war. Das habe ich für problematisch gehalten. Denn in Innenräumen steckt man sich leichter an und die Pandemie ist noch nicht vorbei.

Wann endet die Pandemie?

Wir sind mittendrin. Wir werden mit dem Virus leben müssen, es wird nicht einfach so verschwinden. Deshalb müssen wir weiter konsequent schauen, wo die Zahl der Infizierten hoch ist, wie wir die Übertragungen reduzieren und zur globalen Bewältigung der Pandemie beitragen können.

Wie lange müssen wir noch eine Maske tragen?

Ich vermute, mindestens noch bis zum nächsten Frühling. Im Winter breiten sich Infektionskrankheiten eher aus als zu anderen Zeiten. Ich halte es für gut möglich, dass es generell üblicher wird, eine Maske zu tragen, weil wir gelernt haben, dass sie nicht nur vor Corona, sondern auch vor anderen Infektionskrankheiten besser schützen kann.

Was bringt es, wenn man die Inzidenzwerte getrennt veröffentlicht: nach Geimpften und nach Nichtgeimpften?

Das wäre sinnvoll. Dann würden wir sehen, dass die Inzidenzen bei den Nichtgeimpften nicht nur deutlich höher sind, sondern auch deutlich schneller steigen.

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