Rudolf Hickel, Bremer Professor für Politische Ökonomie und Finanzwissenschaft, warnt: „Die finanzschwache Rentnerin kann am Ende nur ihre Heizung ausschalten.“Foto: Schlie
Preisverfall

„Grüne Inflation abfangen“

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Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel spricht über die Entwicklung der Verbraucherpreise.

Weser Report: Herr Hickel, die Inflationsrate steigt seit Monaten. Im August erreichte sie 4,1 Prozent, so hoch war sie zuletzt 1993. Ist das der Beginn einer langen Inflationsphase, wird vieles in den nächsten Monaten noch teurer?

Rudolf Hickel: Gemessen an der niedrigen Verbraucher-Inflationsrate mit 0,5 Prozent im letzten Jahr ist der Zuwachs mit 4,1 Prozent im September hoch, man muss jedoch genau auf die Ursachen schauen. Es sind maßgeblich Sonderfaktoren. Deshalb gehe ich davon aus, dass sich die Inflationsrate wieder beruhigt, sie im Durchschnitt dieses Jahres bei drei Prozent liegen wird und im nächsten Jahr in Richtung zwei Prozent sinkt.

Worauf gründet Ihre Zuversicht?

Einige Steigerungen haben mit dem Preisverfall im letzten Corona-Jahr zu tun. Wegen der Pandemie hatte die Bundesregierung die Mehrwertsteuersätze ab Juli 2020 gesenkt. Seit Januar gelten wieder die früheren Sätze. Allein das macht schon ein Prozent von den 4,1 Prozent aus. Außerdem hatten wir 2020 einen dramatischen Verfall des Ölpreises, jetzt zieht er wieder massiv an und verteuert das Benzin an der Tankstelle massiv. Auch das macht geschätzt ein Prozent der 4,1 Prozent aus. Drittens spüren wir die Unterbrechung der Lieferketten weltweit und stillliegende Container. Entsprechend sind die Transportkosten stark gestiegen. Es wird ja schon gesagt, dass wir bestimmte Weihnachtsprodukte nicht mehr zu den Feiertagen aus Fernost geliefert bekommen. All diese Faktoren schlagen auf die Inflationsrate durch, sind aber Sonderfaktoren.

Werden die Gewerkschaften jetzt höhere Löhne als Inflationsausgleich fordern?

Würden sie das tun, wäre die Gefahr groß, dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt: Hohe Preise führen zu höheren Löhnen und höhere Löhne zu noch höheren Preisen und so weiter. Aber die Gefahr sehe ich nicht, weil die Inflationsrate ja nur vorübergehend hoch ist. Aber sie schafft ein massives Verteilungsproblem. Schon heute müssen viele Haushalte ein Drittel ihres Einkommens für die Wohnkosten ausgeben.

Wie wird die Europäische Zentralbank (EZB) auf die gestiegene Inflationsrate reagieren?

Ich gehe davon aus, dass sie die Leitzinsen nicht erhöhen wird. Denn auch sie sieht die höhere Inflationsrate als temporäres Phänomen an und will vor allem die Konjunktur nicht abwürgen. Von dieser Null-Zins-Politik profitieren alle jene, die Zinsen auf ihre Kredite bezahlen. Aber der Sparer bleibt bei einer Null-Zins-Politik bei gleichzeitig hoher Inflation der große Verlierer, zahlt mit realen Vermögensverlusten den Preis für die geldpolitische Stabilisierung der Gesamtwirtschaft.

Aber die Preise für Erdöl und Erdgas ziehen wieder an.

Die OPEC, das Kartell ölproduzierender Länder, will die Fördermenge ab November um 400.000 Barrel (159 Literfass) pro Tag erhöhen. Das reicht angesichts des Ölhungers bei weitem nicht aus, aber Saudi-Arabien hat eine weitere Erhöhung abgelehnt. Der Ölpreis wird aber auch hochgetrieben, weil bei der Stromerzeugung zunehmend von Erdgas auf Erdöl umgestellt wurde, da Erdgas schon vor dem Anstieg des Ölpreises sehr teuer geworden ist. Der Grund für den Anstieg des Erdgaspreises könnte sein, dass Spekulanten auf einen niedrigen Erdgaspreis gesetzt hatten und deshalb die Speicher nach dem letzten kalten Winter nicht mehr gefüllt wurden.

Wie wirkt sich der CO2-Zuschlag auf die Verbraucherpreise aus? Derzeit fallen 25 Euro je ausgestoßener CO2-Tonne an, von 2026 an sollen es 55 bis 65 Euro sein.

Der CO2-Preis schlägt auf die privaten Haushalte durch. Die unvermeidbare Bepreisung dieses Klimakillers ist notwendig, erzeugt jedoch eine Art grüner Inflation. Wir erleben zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit, dass sich ein ökologisch gewollter Preis auf die Inflation der Gesamtwirtschaft durchschlägt. Wenn nichts geschieht, sind jedoch soziale Belastungen die Folge. Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen für eine neue Bundesregierung kann ich nur sagen: Wir müssen die ökologischen Maßnahmen dringend mit der Lösung der sozialen Frage verbinden. Eine finanzschwache Rentnerin zum Beispiel kann ökologisch nicht rational reagieren, sie kann am Ende mangels Bezahlbarkeit nur noch ihre Heizung ausschalten und frieren. Darum muss der soziale Ausgleich organisiert werden, denn der CO2-Preis steigt ja weiter. Die grüne Inflation muss sozial abgefangen werden.

Entwickelt sich eine Immobilienblase oder eine Aktienblase?

Nein, die wird es nicht geben. Die Europäische Zentralbank hält eine Inflationsrate um die zwei Prozent für förderlich und versorgt über die Banken die Wirtschaft mit billigem Investitionsgeld. Sie wird die Leitzinsen nicht anheben. Leider gelangt darüber Geld an den Börsen, aber ohne die Gefahr einer platzenden Aktienblase. Einen Run in Betongold wird es nicht geben, auch deshalb nicht, weil das Bauen durch die Probleme der Lieferketten und der Verknappung der Vorprodukte wie Holz, Beton und Stahl sehr teuer geworden ist. Das wird auch den Wohnungsneubau stark bremsen.

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